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Mehr ...Stieglitzfreundliche Landwirtschaft
Interview mit Jochen Goedecke



Stieglitz (Distelfink) - Foto: Christoph Moning
Ursprünglich war er in lichten Wäldern und Waldrändern zuhause, heute lebt der Jahresvogel sowohl in ländlichen als auch städtischen Gebieten. Dabei liebt er es bunt und vielfältig: Bäuerliche Siedlungen mit Obstbaumkulturen auf blumen- und artenreichen Wiesen bieten ihm das ganze Jahr hindurch einen reich gedeckten Tisch. Auch in halboffenen Landschaften mit Alleen, Straßenbäumen, Feldgehölzen, Hecken oder Hopfenkulturen fühlt er sich wohl. Der Stieglitz kann in Höhenlagen von bis zu 1.500 Metern leben – sofern er Nistmöglichkeiten und ein vielseitiges Nahrungsangebot findet. Das Problem: Beides wird immer schwieriger. Die Zahlen des Dachverbands Deutscher Avifaunisten zeigen, dass der Bestand bundesweit zwischen 1990 und 2013 um 48 Prozent abgenommen hat.
Man liest, dass der Verlust landwirtschaftlicher Brachflächen vermutlich die größte Gefahr für den Stieglitz ist. Warum?
Vorweg: Es ist ganz klar, dass es auch in Siedlungsgebieten und privaten Gärten an „wilden“ Flächen fehlt. Knapp 60 Prozent des bundesweiten Stieglitz-Bestands finden sich heute im Siedlungsraum, die restlichen 40 Prozent im Agrarraum. Gerade Brachflächen sind für den Stieglitz aber besonders interessant, weil dort samenbildende Pflanzen ausreifen können – und Samen auf seinem Speiseplan ganz oben stehen. Zudem fällt es dem Stieglitz auf unbestellten Flächen leichter, Material für den Nestbau zu finden. Umso problematischer ist, dass es zwischen 1994 und 2011 bei den Brachflächen einen Rückgang um 90 Prozent gab, 100.000 Hektar sind laut Umweltbundesamt allein zwischen 2012 und 2014 verschwunden.
Gibt es mit Blick auf die Landwirtschaft weitere Ursachen für das Schrumpfen des Stieglitzbestands?
Der Stieglitz lebt am liebsten in offenen baumreichen Landschaften mit vielfältigen Strukturen. Hier kann er über das Jahr hinweg ausreichend Nahrung, optimale Nistbedingungen sowie gutes Material für den Nestbau finden. Mit dem Verschwinden von Hecken und Hochstammbäumen, dem Rückgang einer extensiven Grünland- beziehungsweise Ackernutzung und dem Verlust an besonderen Strukturen wie Ackerrandstreifen oder Brachen geht diese Strukturvielfalt verloren. Dadurch verschlechtern sich die Lebensbedingungen für den Stieglitz. In der modernen Landwirtschaft verliert solche Vielfalt leider immer mehr an Bedeutung. Um die Produktivität zu steigern, werden zum Beispiel Äcker zusammengelegt und die dazwischenliegenden Hecken und Steinriegel entfernt. Hochstammbäume bedürfen eines gewissen Pflegeaufwandes, sie müssen regelmäßig geschnitten werden – und verschwinden daher immer mehr aus unserem Landschaftsbild.

Sein Interesse an der Natur „und allem was kreucht und fleucht“ hat Jochen Goedecke zum Biologie-Studium gebracht. Beruflich ist er seit 14 Jahren im Bereich Naturschutz – Landwirtschaft – Regionalentwicklung tätig. Der Fokus seiner Naturschutzaktivitäten liegt auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen. - Foto: NABU Baden-Württemberg
Braucht es also andere Rahmenbedingungen für eine naturverträglichere (und damit stieglitzfreundlichere) Landwirtschaft?
Ja, genau. Deshalb fordert der NABU eine ökologische Agrarreform in der EU, die dafür sorgt, dass ökologische Vorrangflächen in der Agrarlandschaft – also z. B. Feldgehölze, Brachflächen, Randstrukturen und Blühstreifen – erhalten und entwickelt werden. Damit Landwirte solche Flächen erhalten, braucht es eine Reform der Förderinstrumente, extensive Bewirtschaftungsformen müssen stärker gefördert werden. Zudem ist es wichtig, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – Stichwort Glyphosat & Co. – zu reduzieren.
Aber was kann ich als einzelne oder einzelner tun?
Man kann zum Beispiel Produkte vom regionalen Bio-Betrieb kaufen und so eine stieglitzfreundlichere Landwirtschaft unterstützen. Darüber hinaus kann man durchaus auch das Gespräch mit Landwirten suchen, sie informieren und bitten um der biologischen Vielfalt willen etwa Brachflächen zu bewahren oder an Feld- und Wegrändern auf Düngung, Mahd und den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel zu verzichten.
Wer selbst einen Garten hat, kann ihn naturnah gestalten und zum Beispiel darauf achten, samenbildende Pflanzen wirklich zur Samenreife kommen und dann auch stehen zu lassen. Vielleicht kann man auch selbst „Bunte Meter“ anlegen – oder die Gemeinde oder Landwirte auf diese NABU-Aktion aufmerksam machen. Bunte Meter sind alle Flächen im Siedlungsraum oder der Agrarlandschaft, die reich an Wildkräutern und -stauden sind – auch Ackerrandstreifen oder landwirtschaftliche Brachflächen. Die Bunten Meter sollen höchstens einmal pro Jahr gemäht werden, mindestens aber so oft, dass sie nicht mit Sträuchern oder Bäumen zuwachsen. Außerdem dürfen sie nicht gedüngt oder mit Pestiziden behandelt werden.
Tipp aus dem Online-Shop des NABU Baden-Württemberg:
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