Die Buche trägt dieses Jahr wieder sehr viele Früchte - Genau wie 2009, 2011 und 2014. Foto: Helge May
Mastjahr 2016
Buche verwandelt den Wald erneut in ein Schlaraffenland


Bei der Aussicht auf Millionen Kastanien, Bucheckern und dem geflügelten Samen des Ahorns möchte man diesen Herbst wieder Kind sein. Doch auch wenn die Vorstellung von Kindern mit „Ahornnasen“, die Bucheckern essen und aus Kastanien große Kunstwerke bauen, unschuldig und freudig ist, so hat die erneute „Überproduktion“ der Bäume eigentlich nichts Romantisches.
Bäume setzen nicht jedes Jahr gleich viele Blüten an, und tragen deswegen jedes Jahr unterschiedlich viele Früchte. Jahre, in denen Bäume besonders viele Früchte produzieren, werden Mastjahre genannt. Der Name stammt aus Zeiten, als das Vieh noch in den Wald getrieben wurde. Da waren Mastjahre an Buchen und Eichen willkommen und lohnend, denn in Mastjahren liegen bis zu eine Millionen Bucheckern auf einem Hektar Waldboden.
Jede Baumart hat artspezifische unregelmäßige Zyklen, in denen sich fruchtbare und unfruchtbare Jahre abwechseln. Wie groß die Abstände zwischen den Mastjahren sind, hängt jedoch nicht nur dem Biorhythmus der Arten, sondern auch von zwei weiteren Faktoren ab: Umwelteinflüssen und Stress.
Die Witterung beeinflusst den Fruchtstand der Bäume, denn Mastjahre sind auch eine Reaktion auf gute Witterungsverhältnisse. Mastjahre folgen dabei einem klimatischen Muster: Folgt auf einen kalten Frühling mit geringem Blütenansatz ein Jahr mit einem warmen Sommer, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Mastjahres der Buche im dritten Jahr. Denn in den zwei Vorgängerjahren konnte die Buche Energie tanken, die sie im dritten Jahr für eine reichhaltige Fruchtbildung einsetzen kann.
Aber auch Stress, kann eine Mast auslösen. Merkt ein Baum, dass sich seine Gesundheit oder seine Umweltbedingungen verschlechtern, kurbelt er die Blüten- und Samenproduktion an, um seine Chancen auf Nachkommen zu erhöhen und seine Gene zu verbreiten.
Bedeutung
Das Abwechslung zwischen mageren und fetten Jahren ist eine Überlebensstrategie der Bäume und wichtig für das ökologische Gleichgewicht. Denn dadurch schützt der Baum seine Samen vor Fressfeinden und kontrolliert auch die Tierbestände.
In Jahren, in denen wenige Samen ausreifen, werden die meisten von Waldbewohnern wie Eichhörnchen und Rötelmaus verwertet und nur wenige Samen können auswurzeln. Im Gegenzug vermehren sich auch die Tiere nicht sonderlich stark, deren Hauptnahrungsquelle die Früchte der Bäume darstellt. In fetten Jahren hingegen, bedecken mehr Kastanien und Bucheckern den Boden, als die Tiere fressen können. So legen die Bäume ein aussichtsreiches Fundament für eine neue Baumgeneration, stellt aber auch für die Tiere des Waldes und deren Nachwuchs mehr als ausreichend Nahrung bereit. Davon profitieren im Winter vor allem die Wildschweine aber auch Waldvögel wie Finken und Eichelhäher.
Die Ausbildung von Samen kostet den Baum jedoch sehr viel Kraft. Deswegen brauchen die Bäume mehrere Jahre, in denen sie sich von den Anstrengungen erholen und ihre Energie für ihr Wachstum und eine gesunde Baumkrone einsetzen.
Klimawandel
Erst seit den letzten 30 Jahren werden flächendeckend Daten zu dem Phänomen der Mast gesammelt. Daher liegen eigentlich noch keine verlässlichen Vergleichswerte vor. Eigentlich. Denn 2016 ist das vierte Mastjahr in sieben Jahren in Baden-Württemberg. Bisher waren Abstände zwischen drei und sechs Jahre normal – nun sind es zwei bis drei Jahre.
Die Verkürzung des Mastjahrzyklus der Buche hat zur Folge, dass die Bäume auf lange Sicht eher Schaden nehmen, weil sie ihre Energiereserven aufbrauchen. Deutlich zu erkennen ist das schlechten Baumkronenzustand (schüttere Belaubung) und geringen Wachstumsraten.
Die kontinuierliche Überproduktion bringt die Bäume an ihre Grenzen - aber nicht nur die Flora ist aus dem Gleichgewicht. Von diesem Teufelskreis, in den die Buche hineingeraten zu sein scheint, profitierten vor allem die Wildschweine. Ihre Population hat sich in den letzten Jahren immens vergrößert und verschiebt das biologische Gleichgewicht des Waldes. Durch das üppige Nahrungsangebot, in Kombination mit der Zufütterung durch Jägerinnen und Jäger sowie den reich gedeckten Tisch aus Mais, Rüben, Kartoffeln und Raps im Sommer, überleben viel mehr Frischlinge als früher. Die Folge ist eine sehr hohe Population an Wildschweinen, was vor allem für die Landwirtschaft ein Problem ist, da die Wildschweine Schäden an Wiesen und Ackerkulten verursachen.
Die steigende Häufigkeit der Mastjahre ist auf den Klimawandel und die immer höheren Durchschnittstemperaturen zurückzuführen. Da die Klimawissenschaft von weiterhin warmen Sommern und milden Wintern ausgeht, wird diese Entwicklung weiter fortschreiten. Vor allem die Buche ist von den heutigen Umwelteinflüssen stark belastet. Daher ist es wichtiger denn je, die die Widerstandsfähigkeit der Wälder weiter zu stärken und bei der Energiewende und im Klimaschutz voranzuschreiten. Die Veränderungen im Waldökosystem, die eine häufigere Mast auf das ökologische Gleichgewicht haben wird, sind weiter zu beobachten.
Text: ao