Herdenschutz in der Praxis
Wie funktioniert Herdenschutz in der Praxis? Das erprobten NABU und Landesschafzuchtverband mit Weidetierhalter/-innen im gemeinsamen Projekt. Mehr →
Einjähriger Wolf - Foto: Jürgen Borris
29. Juni 2017 –Stuttgart – Er ist weitergewandert, der männliche Jungwolf, der vermutlich auf der Suche nach einer Partnerin ist. Sein Rudel hat er verlassen, um sich ein eigenes Revier zu suchen. Das ist bei Wölfen im Alter zwischen einem und zwei Jahren der Fall. Erst wurde er bei Überlingen, dann bei Stockach und zuletzt bei Bad Dürrheim gesichtet. Über seinen aktuellen Aufenthaltsort ist nichts bekannt. Das Zurücklegen einer Strecke von mehr als 50 Kilometern pro Tag ist bei Jungwölfen auf Wanderschaft durchaus üblich.
„Woher der Wolf genau stammt, wissen wir noch nicht. Dazu wäre ein genetischer Nachweis nötig, wofür Kot oder Speichelspuren gebraucht werden“, sagt Sabine Häring, Sprecherin der NABU-Wolfsbotschafter in Baden-Württemberg. Eine Sichtung oder ein Bildnachweis reiche da nicht aus. Da die bislang hierzulande nachgewiesenen Wölfe aus der Alpenpopulation stammten und im rund 50 Kilometer vom Bodensee entfernten schweizerischen Calanda-Gebiet ein Wolfsrudel lebt, sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch dieser Wolf in den Alpen geboren ist. „Baden-Württemberg kommt eine Brückenkopffunktion zu, um die deutsch-westpolnische Wolfspopulation im Norden und Osten mit jenen südlich von Deutschland zu verbinden“, ergänzt Häring.
Er hat viel Aufsehen erweckt, dieser junge Wolf – und dabei Freude, aber auch Ablehnung und Ängste ausgelöst. „Wir müssen erst wieder lernen, mit diesem faszinierenden Wildtier zu leben“, sagt die Wolfsbotschafterin. Aber das sei möglich, wie auch Umweltminister Franz Untersteller anlässlich der aktuellen Wolfssichtung betonte. Baden-Württemberg gehört zu den letzten Bundesländern, in denen sich der Wolf wieder ansiedelt. In der Lausitz wurden im Jahr 2000 die ersten Wolfswelpen geboren. Ihre Eltern waren seinerzeit aus Polen eingewandert. Zwischenzeitlich leben in Deutschland rund 70 Rudel oder Paare.
Auf der Suche nach einem Revier
Mögliche Reviere, die in Deutschland zwischen 200 und 250 Quadratkilometer groß sind, gibt es auch in Baden-Württemberg. Niederlassen wird sich der Rüde wohl erst, wenn er eine Partnerin gefunden hat. Ein Revier muss im Übrigen nicht unbedingt ein reines Waldgebiet sein. „Aus dem Norden und Osten Deutschlands wissen wir, dass Wölfe gerne auch offene Flächen wie Truppenübungsplätze oder ehemalige Tagebauflächen nutzen. Außerdem sind sie sehr anpassungsfähig“, sagt Häring. Aufgrund der Reviergröße ergebe sich, dass in einem Wolfsrevier verschiedenartige Landschaften und auch Ortschaften liegen können. „Es ist völlig normal, dass Wölfe auf ihrem Weg daher auch mal eine Ortschaft durchqueren. Auch sie nutzen gerne Straßen und Feldwege, da sie hier energiesparender Strecken zurücklegen können als querfeldein“, so Häring. Was Wölfe auf jeden Fall brauchten, sei ein sicherer und ungestörter Rückzugsort für den Wurfbau, in dem sie ihre Jungen zur Welt bringen.
„Seit vor 17 Jahren die ersten Wölfe wieder nach Deutschland zurückkehrten, gab es keine einzige aggressive Annäherung eines Wolfes an Menschen“, erklärt Sabine Häring. Der Mensch gehöre nicht zu seiner Beute. Wölfe seien ohnehin sehr vorsichtig und mieden Menschen in der Regel. „Angst müssen wir also keine vor dem Wolf haben, aber Respekt. Denn Wölfe sind Wildtiere.“
Was tun bei einer Wolfsbegegnung?
Eine Wolfsbegegnung sei eine große Seltenheit und im Normalfall suche ein Wolf das Weite, bevor man ihn überhaupt gesehen habe, sagt die Wolfsbotschafterin: „Genießen Sie daher den Anblick. Bleiben Sie ruhig und laufen Sie keinesfalls weg.“ Wer sich beim Anblick eines Wolfes unwohl fühle, solle sich langsam zurückziehen. „Machen Sie sich groß, klatschen Sie in die Hände. Sofern Sie einen Hund bei sich haben, holen Sie diesen zu sich und leinen ihn an“, rät die Wolfsexpertin. Ohnehin rät sie dazu, Hunde in einem Wolfsgebiet stets anzuleinen.
NABU unterstützt präventiven Herdenschutz
„Der NABU freut sich über die Rückkehr des Wolfes. Er gehört zu unserer heimischen Landschaft, ist ein Zeichen dafür, dass die europäischen Naturschutzbemühungen der letzten Jahrzehnte Erfolg haben“, betont Häring. „Rehe, Wildschweine und Hirsche sind die Hauptbeute des Wolfs – von ihnen gibt es mehr als genug in unseren Wäldern“, fügt sie an. Der Mensch müsse dafür Sorge tragen, dass sich der Wolf von diesem Wild bediene – und nicht von möglicherweise leichter zu erlangenden Schafen und Ziegen. Seit vielen Jahren sei es daher ein Anliegen des NABU, sich zusammen mit den Nutztierhalten gut auf die Rückkehr des Wolfes vorzubereiten und sie beim Herdenschutz für ihre Tiere bestmöglich zu unterstützen. „Hier ist auch die Politik gefordert, die Vorbereitungen mit Hochdruck fortzuführen und noch mehr als bisher zu tun“, fordert Häring.
Informationen für den Hintergrund:
Der NABU Baden-Württemberg betreibt zusammen mit dem Landesschafzuchtverband (LSV) seit etwa zwei Jahren das landesweite Pilotprojekt „Herdenschutz in der Praxis“. Im Rahmen des Projekts wollen LSV und NABU praxistaugliche Methoden für einen effektiven Herdenschutz in Baden-Württemberg entwickeln und prüfen, wie ein möglichst konfliktarmes Nebeneinander gelingen kann (siehe auch: www.nabu-bw.de/herdenschutz).
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