Mit einer NABU-Geschenkpatenschaft für Wildbienen oder Greifvögel und Eulen schenken Sie Ihren Lieben ein ganz besonderes Stück Natur.
Mehr ...Fortschritte im Herdenschutz
Projektabschluss präsentiert Lösungen für Weidetierhalterinnen und -halter



Ziegen hinter dem neuen Elektronetz aus dem Herdenschutzprojekt. - Foto: Benny Trapp
6. Oktober 2020 – Die Rückkehr des Wolfes nach Baden-Württemberg stellt Weidetierhalterinnen und -halter vor die Aufgabe, ihre Schafe, Ziegen, Pferde oder Rinder vor möglichen Wolfsübergriffen zu schützen. Sie brauchen alltagstaugliche und flexible Lösungen, die auch an steilen Hängen im Schwarzwald oder bei der Wanderschäferei auf der Schwäbischen Alb gut funktionieren. Deshalb erprobten Landesschafzuchtverband (LSV) und NABU Baden-Württemberg bereits seit 2015 in zwei Projekten gemeinsam mit mehreren Testbetrieben, wie verschiedene Herdenschutzmaßnahmen unter den landschaftlichen und betrieblichen Bedingungen im Südwesten am besten umgesetzt werden können. Bei der Abschlussveranstaltung am 6. Oktober 2020 in Pfalzgrafenweiler präsentierten LSV und NABU die Ergebnisse bei einer Führung auf dem Islandgestüt Schlosswaldhof und in Vorträgen. Im Mittelpunkt stand der Einsatz von elektrischen Zäunen und Netzen sowie der dazugehörigen Messgeräte und Arbeitsschritte. Außerdem tauschten sich Halterinnen und Halter von Herdenschutzhunden im Projekt gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus, wie sich diese Hunde in Schaf- oder Ziegenherden integrieren lassen.
Umweltminister Franz Untersteller zeigte sich zufrieden mit den Projektergebnissen: „LSV und NABU haben dem Land viele Empfehlungen aus der Alltagspraxis der Testbetriebe gegeben, die wir direkt in unsere Förderrichtlinien für den Herdenschutz in Baden-Württemberg integriert haben. So können wir Weidetierhalterinnen und -halter bestmöglich dabei unterstützen, ihre Tiere vor Schäden durch den Wolf zu schützen. Wir werden auch in Zukunft eng mit den Betrieben im Land zusammenarbeiten, um den Herdenschutz gemeinsam weiter zu entwickeln.“ Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft förderte das aktuelle Projekt seit Mai 2018 mit insgesamt 300.000 Euro.

LSV-Vorsitzender Alfons Gimber und der NABU-Vorstand Dr. Dietmar Götze präsentieren die gemeinsame Botschaft. - Foto: NABU/Aniela Arnold
Der LSV-Vorsitzende Alfons Gimber und der NABU-Vorstand Dr. Dietmar Götze betonten, wie wichtig der Schulterschluss beider Verbände ist: „LSV und NABU sind sich einig, dass die Weidetierhaltung in Baden-Württemberg unverzichtbar ist für die Pflege unserer Kulturlandschaft und den Erhalt der biologischen Vielfalt. Insbesondere die Wander- und Hütehaltung von Schafen ist auch Teil unseres landestypischen, kulturellen Erbes, das wir bewahren wollen. Das wird uns aber nur gelingen, wenn die Weidetierhaltung eine bessere Unterstützung durch Staat und Gesellschaft erfährt. Und wir gemeinsam Wege für ein konfliktarmes Zusammenleben von Wolf und Weidetierhaltung finden.“ Gimber ergänzte: „Die enge, praxisnahe Zusammenarbeit von Weidetierhaltung, Naturschutz, Forschung und Verwaltung ist ein bundesweites Vorbild für den Herdenschutz.“
Neue elektrische Netze, Zäune und Messgeräte erleichtern wolfsabweisendes Zäunen
Die Beteiligten entwickelten gemeinsam mit Zaunherstellern und Testbetrieben unter anderem ein neues, wolfsabweisendes elektrisches Netz zum Einzäunen von Weidetieren. Bei einer Führung auf dem Islandgestüt Schlosswaldhof erläuterte Alfons Gimber, selbst Schäfer im Rhein-Neckar-Kreis, dessen Vorteile: „Das neue Elektronetz hält die Stromspannung zuverlässiger, dank einer speziellen Erdungslitze. Das ist entscheidend, denn ohne die richtige Erdung fließt auch durch das beste Netz kein Strom. Die Nachfrage nach dem Netz-Prototyp ist hoch und die Qualität überzeugend, weshalb das Netz schon vor Projektende auf den Markt kam. Zahlreiche Schäferinnen und Schäfer im In- und Ausland nutzen es bereits, weitere Zaunhersteller führten inzwischen ähnliche Modelle ein. Wölfe sehen die neuen Netze außerdem deutlich besser: Sie sind schwarz-weiß. Wölfe haben, ähnlich wie Wildschweine oder Hirsche, eine Rot-Grün-Sehschwäche und erkennen die bisher meist orange gefärbten Netze nur sehr schlecht.
Die Projektbetriebe testeten außerdem technische Hilfsmittel. Davon bewährte sich zum Beispiel ein Warngerät am Zaun. Dieses schickt den Tierhaltenden eine SMS, wenn die Stromspannung plötzlich abfällt. Kadmiel Schweikle, Betreiber des Schlosswaldhofs, machte mit einem Zaun aus Dänemark, der aus einem patentierten Kunststoff-Gummi-Gemisch besteht, gute Erfahrungen: „Durch den Gummischutz hält der Zaun die Stromspannung auch dann, wenn Pflanzen die unterste Litze überwuchern. Wir müssen den Zaunbereich dadurch viel seltener frei mähen und sparen in unserer ohnehin arbeitsintensiven Woche kostbare Zeit.“
Einsatz von Herdenschutzhunden – Halterinnen und Halter tauschen sich weiter aus
Bereits im ersten Projekt von 2015 bis 2017 haben die meisten Testbetriebe Erfahrungen mit der Integration von Herdenschutzhunden in ihre Schaf- und Ziegenherden gesammelt. Während der letzten Jahre schafften sie weitere an, andere Betriebe außerhalb des Projekts zogen nach. „Die Integration der Hunde in bestehende Schafherden ist anspruchsvoll, gelingt aber, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, sagt Schäfer Daniel Voigt aus dem Landkreis Schwäbisch Hall. Die Testbetriebe tauschten sich bei mehreren Projekttreffen über ihre Erfahrungen mit Herdenschutzhunden aus. Sie beschäftigten sich dabei auch mit Regeln für die Auswahl, Zucht und Zertifizierung. Als erfahrene Hundehalter unterstützen und beraten sie nun Betriebe, die ebenfalls an der Arbeit mit Herdenschutzhunden interessiert sind.
Zum Projektabschluss steht für sie fest, der Einsatz und die Mühen haben sich gelohnt: „Wer beim Herdenschutz mit Hunden einsteigt, muss sich in den ersten zwei Jahren intensiv mit dem Hund, den eigenen Tieren und dem Zusammenleben der beiden auseinandersetzen. Darüber sollten sich alle klar sein, bevor sie sich freiwillig für einen Herdenschutzhund entscheiden. Doch wer Spaß an der Arbeit mit Hunden hat und die notwendige Zeit aufwendet, wird nach der Eingewöhnungsphase belohnt: Mit einem treuen Helfer, der die Schafe oder Ziegen beschützt und den Schäferinnen und Schäfern viele Sorgen abnimmt. Mir und meiner Familie sind die Tiere inzwischen ans Herz gewachsen“, fasst Schäfer Voigt seine Erfahrungen zusammen.
Neue Beratungsstelle für Herdenschutz
Dr. Dietmar Götze, Vorstand beim NABU Baden-Württemberg, lobte die neue Herdenschutzberatung des Landes bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA): „Die Erkenntnisse aus dem Projekt haben gezeigt: Herdenschutz funktioniert am besten, wenn er auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Betriebes angepasst ist. Die Herdenschutzberaterinnen und -berater machen genau das möglich. Sie besuchen interessierte Tierhalterinnen und Tierhalter, um gemeinsam herauszufinden, welche Herdenschutzmaßnahmen am meisten Sinn machen. Sie kennen sich in der Praxis gut aus. Sie treten nicht als Kontrollierende auf, sondern nur beratend – das ist eine entscheidende Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.“ Die Ratschläge von LSV und NABU aus dem Projekt spielten bei der Konzeption der Beratungsstelle eine wichtige Rolle.
Abschließend stellen Gimber und Dr. Götze fest: „Wolf und Herdenschutz werden für uns im Land eine Daueraufgabe bleiben. Damit sich die Projektergebnisse verstetigen und weiterentwickeln, muss das Land dauerhafte Personalstellen für die Beratung und Kommunikation zum Herdenschutz bereitstellen.“
Die wichtigsten Ergebnisse des Herdenschutzprojekts:
- LSV und NABU entwickelten mit Zaunherstellern und Testbetrieben ein marktreifes Elektronetz mit Erdungslitze. Außerdem testeten sie Zaunmessgeräte, Warngeräte und andere technische Hilfsmittel praxisnah.
- Die Erdung von Stromnetzen und -zäunen ist das A und O, damit ausreichend Strom durch sie fließt. LSV und NABU entwickelten mit den Testbetrieben Lösungen für die Erdung der Zäune in schwierigem Gelände (z. B. trockene oder felsige Böden), gaben Schulungen und setzten das Thema bundesweit auf die Agenda.
- Die Integration von Herdenschutzhunden ist besonders am Anfang zeitaufwändig, funktioniert nach ein bis zwei Jahren aber gut, sofern es gelingt die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Das Land fördert auf Empfehlung von LSV und NABU inzwischen den laufenden Unterhalt der Hunde.
- Für Weidetierhalterinnen und -halter ist eine unabhängige Beratungsstelle für Herdenschutz wichtig, die praxisnahe und individuelle Tipps vor Ort gibt. Seit 2019 existiert eine entsprechende Beratungsstelle bei der FVA.
- Herdenschutz bleibt in Baden-Württemberg eine besondere Herausforderung, vor allem auf stark verbuschten Flächen und steilen Hängen im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb. Dies muss bei der Entwicklung von Maßnahmen und der Landesförderung weiter berücksichtigt werden.