Flächenfraß gefährdet letzte Haubenlerchen im Land
Eines der letzten Brutgebiete der Haubenlerche in Baden-Württemberg soll in Hockenheim einem Gewerbegebiet zum Opfer fallen. Mehr →
Rebhühner - Foto: Volker Saß/www.naturgucker.de
6. Juli 2021 – Baden-Württemberg hinkt beim Schutz von Brutvögeln im Bundesvergleich hinterher. Gleicht man die Zahlen der jüngst veröffentlichten Roten Liste für Deutschland 2021 mit den aktuellsten Zahlen aus dem Südwesten ab, ergibt sich eine durchwachsene Bilanz. „Artenverluste um 80 bis 90 Prozent zum Beispiel beim Kiebitz in nur 20 Jahren sind erschreckend. Besonders für Feld- und Wiesenvögel ist es entscheidend, dass das im Koalitionsvertrag angekündigte Bodenbrüterprogramm schnell kommt“, betont daher der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle. „Einen Aufwärtstrend können wir nur punktuell und bei wenigen Arten sehen, etwa beim Star, der im Land entlang von Rhein und Neckar, in Ostwürttemberg und in den Streuobstgebieten Brutplätze und Nahrung findet – und bei uns besser dasteht als im Bund. Viele seltene oder mittelhäufige Vogelarten sind im Südwesten jedoch um eine Gefährdungskategorie schlechter eingestuft als im Bundesdurchschnitt“, so Enssle. Daran ändert nach Erwartung des NABU wohl auch die neue Rote Liste für Baden-Württemberg nichts, die demnächst erscheinen soll.
Allerdings hätten auch manche Schutzmaßnahmen gewirkt: „Durch intensive Bemühungen konnten Wanderfalke und Weißstorch vor dem Verschwinden gerettet werden. Auch für ,verstädterte‘ Waldvögel und Klimawandel-Profiteure wie Bienenfresser und Silberreiher, die ihr Verbreitungsgebiet ausweiten können, weist die Bestandskurve nach oben“, ergänzt der NABU-Fachbeauftragte für Ornithologie, Stefan Bosch.
Wenige Profiteure, viele Verliererarten
„Die Bestände von zwei Dutzend unserer heimischen Vogelarten sind jedoch vom Erlöschen bedroht, die bundesweit noch etwas besser dastehen. Dazu zählen etwa Rebhuhn, Großer Brachvogel, Bekassine und Raubwürger. Wir sind hier eher ein negativer Vorreiter“, fasst Bosch zusammen. All diese Arten seien Lebensraumspezialisten und stehen für bestimmte Gebiete wie die naturnahe Feldflur, Wälder, Feuchtwiesen oder Moorflächen.
„Wenn wir nicht handeln, muss sich Baden-Württemberg schon bald von weiteren seiner angestammten Vogelarten verabschieden, weil sie keine reproduktionsfähigen Bestände mehr haben. Die Bestände von Grauspecht oder Trauerschnäpper sind stark gefährdet, beim Kuckuck nimmt die Zahl der Brutpaare weiter ab. Jede verlorene Art sendet ein Alarmsignal an Politik und Gesellschaft, sich besser als bisher für den Erhalt ihrer Lebensräume einzusetzen“, so Bosch. Die Vögel stehen dabei nur stellvertretend für ihren Naturraum. Mit den Vogelarten verschwinden auch andere Tier- und Pflanzenarten, die an diese gebunden sind.
Die Ursachen für den Niedergang dieser und vieler weiterer Arten liegen sowohl in der Geografie des Landes – Baden-Württemberg spürt den Klimawandel stark und verliert dadurch Arten an nördliche Regionen – als auch in der Übernutzung von Flächen durch Bebauung, Zerschneidung der Landschaft oder Landwirtschaft. „In schwäbischer Gründlichkeit werden Ortsränder durch neue Baugebiete ,arrondiert‘, der in Baden-Württemberg neu eingeführte Paragraph zum Streuobstwiesenschutz verfehlt bislang seine Wirkung, weil Kommunen einfach trotzdem in die Streuobstwiesen planen“, beklagt Bosch. Hier habe die neue Landesregierung die Aufgabe, im Landesnaturschutzgesetz nachzubessern: Die Pflege der Streuobstwiesen muss besser gefördert werden und die Streuobstbestände brauchen einen besseren gesetzlichen Schutz, wenn wir sie wirklich erhalten wollen.
Größte Verluste bei Feld- und Wiesenvögeln
Besonders bedroht sind vor allem die Feld- und Wiesenvögel, zu denen das Rebhuhn, der Kiebitz, die Grauammer oder das Braunkehlchen gehören, die vor wenigen Jahrzehnten noch ganze Landstriche bewohnten. Heute sind die meisten gefährdet, bedroht oder bereits verschwunden – wie im Fall der Bekassine in Baden-Württemberg. Einzelprojekte, wie das Rebhuhnschutzprojekt des NABU im Landkreis Tübingen oder das Kiebitzprojekt der Gemeinde Gärtringen bei Herrenberg, seien zwar wichtig, aber nicht ausreichend. „Damit all diese Einzelprojekte nicht nur gut gemeintes Stückwerk bleiben, müssen sie landesweit gebündelt und ergänzt werden. Wir brauchen dringend ein Rettungsprogramm für die am stärksten bedrohten Vogelarten im Land. Das kostet Geld und Ressourcen.“, so Enssle.
Biologische Vielfalt retten: Attraktive landwirtschaftliche Förderprogramme fehlen
Für NABU-Landeschef Enssle steht fest: „Zwar bin ich froh, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann letzte Woche verkündet hat, das bundesweit vorbildliche Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt über die gesamte Legislaturperiode fortführen zu wollen. Doch ob dieses Programm ausreicht, um die Trendwende einzuleiten, wage ich zu bezweifeln. Für Arten wie Kiebitz, Rebhuhn und Braunkehlchen braucht es zusätzliche Maßnahmen, so zum Beispiel attraktive Förderprogramme zum Feldvogelschutz für Landwirtinnen und Landwirte. Es braucht auch Kümmerer bei den Landkreisen, die die Schutzmaßnahmen koordinieren“, erklärt Enssle dazu.
Klar sei nach Ansicht des NABU auch, dass es gelingen müsse, den immensen Flächenverbrauch von rund fünf Hektar pro Tag im Land zu stoppen: „Wir werden die Ziele im Naturschutz sonst kaum erreichen können. Hier ist vor allem das neue Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen von Bauministerin Nicole Razavi gefragt neue Konzepte vorzulegen, um den Flächenverbrauch bis 2035 auf Netto-Null zu reduzieren“, sagt Enssle.
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