Durch das Ringeln der Bäume sterben sie ab und wertvolles Totholz entsteht - Foto: Inés Noll/NABU-Stiftung Nationales Naturerbe
Ökologisches Trassenmanagement
Mehr Naturschutz über/unter Stromleitungen im Land
NABU und BUND diskutieren Chancen zur Umsetzung von ökologischen Maßnahmen beim Verteilnetzausbau
Der Aus- und Umbau der Stromleitungen im Land ist eine wichtige Voraussetzung für die Energiewende. Neue Windenergie- und Photovoltaikanlagen müssen ans bestehende Stromnetz angebunden und der gewonnene Strom bestmöglich verteilt werden. Doch Stromtrassen können vor allem im Wald und bei konventioneller Unterhaltungspflege ein kilometerlanges unüberwindbares Hindernis für Insekten und Kleintiere bilden.
Dass es auch anders geht, zeigt das Dortmunder Unternehmen Westnetz. Der Verteilnetzbetreiber betreut 195.000 Kilometer Stromnetze von Trier bis Osnabrück. „Früher galt der Grundsatz: Pflege selten und intensiv. Die Folge war, dass der gesamte Bewuchs alle 10 bis 15 Jahren radikal entfernt wurde, was weder der Bevölkerung noch der Natur gefällt. Die aufwändige Handarbeit ist außerdem kostenintensiv“, fasst Johannes Hacks die Kritik am bisherigen Verfahren zusammen. Als Westnetz-Koordinator für Ökologisches Trassenmanagement (ÖTM) geht er seit einigen Jahren neue Wege.
Für die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe arbeitet Inés Noll seit Januar 2017 an dem dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Ökologisches Trassenmanagement (ÖTM) auf Offenland und Waldstandorten – Beispielhafte Entwicklung eines Gesamtkonzepts für Naturschutzflächen unter Stromleitungen im Eigentum von Naturschutzverbänden und Stiftungen“. Dabei wird am Beispiel der stiftungseigenen Flächen mit bestehenden Stromtrassen ein Konzept zur Umsetzung eines ökologischen Trassenmanagements auf eben diesen Eigentumsflächen entwickelt und auf ausgewählten Flächen exemplarisch umgesetzt. Die gewonnenen Erfahrungen werden in Form eines Leitfadens aufbereitet, der auch andere interessierte Flächeneigentümer bei der einfachen Umsetzung eines ÖTM unterstützt. Das Projekt wird durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gefördert.
Welche Möglichkeiten Netzbetreiber und Flächenbesitzer haben, um Lebensräume unter Freileitungen entstehen zu lassen, haben Hacks und Noll auf Einladung des Dialogforums Erneuerbare Energien und Naturschutz auf einem Workshop am Bodensee vorgestellt. Im Interview erklären die Projektleiterinnen Andrea Molkenthin-Keßler (NABU) und Annette Reiber (BUND), Johannes Hacks (Westnetz) sowie Inés Noll (NABU-Stiftung Nationales Naturerbe), worauf es beim ÖTM ankommt und wie sich dieses auch in Baden-Württemberg umsetzen lässt.
Wie sieht Ökologisches Trassenmanagement aus und wieviel Aufwand steckt darin?
Johannes Hacks: Beim ökologischen Trassenmanagement werden die ökologischen Gegebenheiten stark berücksichtigt – soweit rechtliche Grundlagen, Eigentumsverhältnisse und Verkehrssicherungspflicht dies zulassen. Zudem müssen die Maßnahmen ökonomisch vertretbar sein, denn die Netzbetreiber sind laut Energiewirtschaftsgesetz zu einem entsprechend wirtschaftlichem Betreiben der Hochspannungsfreileitungen verpflichtet. Ein ökologisches Trassenmanagement fördert durch gezielte Maßnahmen die Biodiversitäten im Bereich Flora und Fauna.
Wie kann eine Stromtrasse Chancen für den Artenschutz bieten?
Hacks: Mit dem „Herauspflegen“ bestimmter Pflanzen und Bäume können sich Trassen hin zu halboffenen Landschaften entwickeln, mit angrenzendem Aufbau von artenreichen stabilen Waldrändern. Dies bietet große Chancen für alle Arten aus Flora und Fauna, die auf entsprechende Lebensräume, Futterplätze, Jagdreviere und auch Transferräume angewiesen sind – wie beispielsweise verschiedene Wald- und Heidelaufkäferarten.
Offenlandbiotope wie Heideflächen und Magerwiesen können mit entsprechender Pflege für Flora und Fauna einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Biodiversitäten leisten. Grundsätzlich sollte bei der ökologischen Trassenpflege die Gesamtheit des Trassenbereiches betrachtet werden. So können die Maßnahmen an die natürlichen Standortbedingungen angepasst werden. Dabei sollte ein zusammenhängendes Konzept erstellt werden und nicht nur kleine „Minilebensräumchen“ entstehen, die keine verbindende Wirkung entfalten.
Lassen sich die Erfahrungen mit ÖTM, die Sie in anderen Bundesländern gesammelt haben, auf Baden-Württemberg übertragen?
Hacks: Grundsätzlich sind hier zuerst die vertraglichen Gegebenheiten der Netzbetreiber zu analysieren. Sollten diese ähnlich wie bei der Westnetz GmbH sein, könnten viele Elemente des ÖTM, angepasst an die örtliche Situation, auch in Baden-Württemberg berücksichtigt werden. Die Kosten hierfür trägt meist der Netzbetreiber, in Einzelfällen kommen aufgrund vertraglicher Regelungen auch Eigentümer oder Dritte für die entstandenen Kosten auf.
Inés Noll: Ja, die Erfahrungen sind gut übertragbar. Denn überall müssen die Netzbetreiber einen sicheren Stromtransport gewährleisten und dafür ihre Leitungen vor leitungsgefährdendem Bewuchs schützen. Meist gibt es aber mehr als eine mögliche Pflegemethode zur Freihaltung und damit Spielraum für eine naturschonendere Vorgehensweise. So können auf Trassen wertvolle Landschaftsstrukturen und Lebensräume erhalten oder neue geschaffen werden. Im Wald können beispielsweise großflächige Kahlschläge und Mulchen vermieden und stattdessen wertvolle Offenlandbiotope, Waldinnenränder oder halboffene Strukturen gefördert werden. Das geht in Baden-Württemberg genauso wie in Brandenburg.
Wie, wo und mit welchem Ziel arbeitet die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe mit Netzbetreibern zusammen?
Noll: Wir sind mit mehreren Netzbetreibern bezüglich der Trassenpflege auf unseren Naturschutzflächen im Gespräch. Ziel ist, gemeinsam Wege für eine naturverträglichere Trassenpflege zu finden. Wir sensibilisieren für das Thema, analysieren die Ausgangslage und zeigen alternative Pflegemöglichkeiten auf. Mit unseren Beispielflächen wollen wir also helfen, die Anfangshürde für die neue Herangehensweise erfolgreich zu meistern. Ist das geschafft, können die Netzbetreiber die neue Pflegepraxis dann auch auf Flächen anderer Eigentümer übertragen.
Im Mai 2017 konnten wir Westnetz eine Woche lang bei der Arbeit über die Schulter schauen und so wertvolle Einblicke in das bereits praktizierte ÖTM eines Verteilnetzbetreibers gewinnen.
Sind Netzbetreiber zu bestimmten ökologischen Maßnahmen verpflichtet?
Noll: Beim Neubau von Stromleitungen wird ÖTM heute oft schon im Genehmigungsverfahren verankert. Aber natürlich müssen sich Netzbetreiber auch bei bestehenden Trassen an die naturschutzrechtlichen Bestimmungen halten. Auch hier greifen beispielsweise das Tötungs- und Störungsverbot für geschützte Arten und der gesetzliche Biotopschutz. Leider können die Naturschutzbehörden oftmals gar nicht aktiv werden, weil wertvolle Bestände noch gar nicht erfasst sind. Hier können Naturschutzorganisationen wie der NABU nachhelfen, damit der Arten- und Biotopschutz adäquat berücksichtigt wird. Ehrenamtlich Aktive mit guten Gebietskenntnissen sind hier besonders gefragt.
Gibt es Beispiele für erfolgreiche Kooperationen zwischen Netzbetreibern und Naturschutzgruppen in Baden-Württemberg?
Annette Reiber: Ja, allerdings noch wenige. In der Region um Radolfzell beraten und unterstützen beispielsweise BUND-Aktive Netzbetreiber und Naturschutzbehörden bei passenden Pflegemaßnahmen für Stromtrassen.
Andrea Molkenthin-Kessler: In Freudenberg pflegt eine Naturschutzgruppe seit einigen Jahren eine Fläche in Zusammenarbeit mit Stadt und Netzbetreiber. Geregelt durch einen Pflegevertrag bekommt die Gruppe Geld, das direkt in die Pflegemaßnahmen gesteckt wird. Leider ist das Thema sonst in Baden-Württemberg noch nicht sehr präsent.
Hacks: Bei Planungen von Maßnahmen sind in Einzelfällen Ortsgruppen beteiligt. Bei der Umsetzung muss stets die Arbeitssicherheit berücksichtigt werden und bestimmte Maßnahmen können nur zertifizierte Unternehmen durchführen, etwa im Bereich von unter Spannung stehenden Bauteilen.
Angesichts begrenzter Ressourcen kann nicht jede Trasse optimal gepflegt werden. Wo in Baden-Württemberg wäre ÖTM besonders lohnend und sinnvoll, etwa für den Biotopverbund?
Molkenthin-Kessler: Großräumige Trassenbereiche, die nach ÖTM-Kriterien gepflegt werden, sind von hoher Relevanz für den Biotopverbund. Aber auch kleine nach ÖTM-Kriterien gepflegte Trassenbereiche können wertvolle Biotope darstellen. Was für den Artenschutz möglich ist, zeigen die Maßnahmen im Naturschutzgebiet Dossenwald bei Mannheim. Die Binnendünen dort sind ein wichtiger Lebensraum für seltene wärmeliebende Arten. Durch die Entnahme von Gehölzen und die Offenhaltung der Flächen unter den Leitungen wurden für sie neue Lebensräume entwickelt. In Rheinland-Pfalz wurde im Rahmen eines Projekts der Deutschen Umwelthilfe untersucht, welche Arten von den dortigen Pflegemaßnahmen profitiert haben und welchen Beitrag ÖTM zum Biotopverbund leisten kann – insbesondere im Hinblick auf Trocken- und Waldlebensräume.
Noll: Bei waldquerenden Trassen kann man sich beispielsweise am Vorkommen besonders schützenswerter Biotope (gesetzlich geschützte Biotope, FFH-Lebensraumtypen, Biotoptypen der Roten Liste) orientieren. Im Offenland lohnt sich ein Blick auf Trassen, die Gehölzstrukturen queren – vor allem in ausgeräumten Agrarlandschaften. Auch die Eigentümerstruktur kann Anhaltspunkt sein. Befürwortet der Eigentümer ÖTM auf seinen Flächen, steigert das die Realisierungschancen deutlich. In anderen Bundesländern gibt es z. B. gute Erfahrungen mit Bundes- und Landeswaldflächen. Hier ist das Interesse an ÖTM oft hoch und es handelt sich häufig um längere Trassenabschnitte. Das reduziert den Koordinationsaufwand.
Kann das neue Sonderprogramm für mehr Biodiversität in Baden-Württemberg einen positiven Schub für ÖTM geben?
Molkenthin-Kessler: Ja, das hoffen wir. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um ÖTM landesweit zu verankern. Die Naturschutzverbände NABU und BUND erwarten von der Landesregierung, dass sie auf landeseigenen Flächen mit gutem Beispiel vorangeht. Wo Stromtrassen Staatsforst überqueren, sollte ÖTM künftig selbstverständlich sein.
Reiber: Die Idee, die Chancen des ÖTM zu nutzen, ist in Baden-Württemberg einfach noch nicht so weit verbreitet. Das ist schade, lässt sich aber ändern.