Jedes Jahr pflegt das Team des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen rund 1200 Vögel gesund – darunter auch besonders streng geschützte Arten. Helfen Sie uns dabei!
Helfer*innen erfassen Bestände von Vögeln
NABU-Vogelschutzzentrum betreut Brutvogelmonitoring
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Christine Mödinger beim Brutvogelmonitoring - Foto: NABU/Ann-Kathrin Mertz
20 Jahre „Monitoring häufiger Brutvögel“
Interview mit Christine Mödinger über das MhB
Zum 20-jährigen Bestehen des „Monitorings häufiger Brutvögel“ hat das NABU-Vogelschutzzentrum in Mössingen (Kreis Tübingen) zusammen mit dem Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) aktuelle Ergebnisse auf Landesebene veröffentlicht. Christine Mödinger ist Mitautorin und arbeitet im NABU-Vogelschutzzentrum Mössingen. Im Interview gibt sie uns einen Einblick in das Programm, seine Bedeutung und die gewonnenen Erkenntnisse.
Liebe Christine, worum geht es beim „Monitoring häufiger Brutvögel“ genau und warum ist es aktuell so wichtig?
Das MhB ist ein bundesweites Programm zur Erfassung der Brutvögel in der „Normallandschaft“, also in unseren Wäldern, Siedlungen und Agrarflächen. In Baden-Württemberg wurden hierfür 400 Probeflächen à 1km² über das Land verteilt, bundesweit sind es über 2.600. Anhand der Bestandszahlen, die auf diesen Probeflächen ermittelt werden, sehen wir, welche Vogelarten von Jahr zu Jahr zu- oder abnehmen. Gerade heute ist unsere Landschaft von vielseitigen und – aus evolutionärer Sicht – schnellen Wandeln betroffen. Land- und Forstwirtschaft entwickeln neue Praktiken und passen sich wechselnden Rahmenbedingungen an. Der Klimawandel bringt höhere Durchschnittstemperaturen und gehäufte Extremwetterlagen. Immer wieder kursieren auch Krankheiten unter Vögeln. All diese Umweltbedingungen haben direkten Einfluss auf die Vogelbestände. Das MhB ermöglicht uns, frühzeitig Veränderungen zu erkennen, wenn vermeintliche „Allerweltsarten“ plötzlich verschwinden. Nehmen wir den Baumpieper als Beispiel. Dieser war in den 90ern noch weit verbreitet. Der wissenschaftliche Name Anthus trivialis deutet ebenfalls darauf hin. Heute hat gilt er landesweit als stark gefährdet.
Was hat Dich dazu bewegt beim MhB mitzumachen?
Ich habe vor acht Jahren eine Probefläche in Stuttgart übernommen. Vögel begeistern mich schon lange und im Selbststudium hatte ich gelernt, die häufigsten Arten an Gestalt und Stimme zu erkennen. Als ich mich nach ein paar Jahren sicher genug fühlte, wollte ich mich am Brutvogelmonitoring beteiligen. Zum einen, um meine Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, zum anderen um zur wissenschaftlichen Forschung beizutragen. Gerade die Ornithologie ist so stark auf Citizen Science angewiesen wie kaum eine andere Disziplin.
Wie genau geht ihr beim Brutvogelmonitoring vor?
Das MhB sieht vier frühmorgendliche Begehungen in vorgegebenen Zeiträumen zwischen März und Juni vor. Damit können sowohl früh brütende Arten wie Spechte und Meisen als auch späte Langstreckenzieher wie Rohrsänger und Grasmücken erfasst werden. Während eines gemütlichen Spaziergangs von etwa zwei bis drei Stunden werden alle Vögel mitsamt ihren Verhaltensweisen notiert, also z.B. Gesang, Nestbau oder territoriale Konflikte. Anhand der Verhaltensweisen sowie spezifischen Wertungszeiten des MhB werden dann sogenannte „Papierreviere“ ermittelt, also die vermutete Summe der Brutpaare in der Probefläche. Die Summe dieser Reviere fließt dann in die Auswertungen ein.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen 20 Jahre?
Die Daten bilden die Grundlage für politisch relevante Publikationen wie die Rote Liste der Brutvogelarten, den nationalen Brutvogelatlas sowie Indikatoren zur Biodiversität. Auch für wissenschaftliche Auswertungen werden die Daten regelmäßig verwendet, etwa zur Ursachenforschung. Dabei hat sich etwa gezeigt, dass insbesondere die Ackerbewohner wie Feldlerche und Goldammer im Bestand abnehmen, ebenso nadelgebundene Waldarten wie Wintergoldhähnchen und Tannenmeise. Zunahmen verzeichnen dagegen Arten mit hoher Anpassungsfähigkeit, die neben Wäldern auch Siedlungsgebiete nutzen. Hierzu zählen z.B. Blaumeise-, Mönchsgrasmücke und Kohlmeise, Amsel und Ringeltaube. Besondere Sorgen bereitet uns der Feldsperling, welcher seit etwa zehn Jahren stark abnimmt. In Reaktion zu diesem teils dramatischen Rückgang wurde das Netzwerk Feldsperling ins Leben gerufen, das die Ursachen hinter dem Verschwinden dieser Art nun erforscht. Sobald diese geklärt sind, können wir gezielte Maßnahmen ergreifen und Forderungen an die Politik stellen.
Welche Aspekte am Brutvogelmonitoring schätzt Du am meisten?
So seltsam es auch klingt: Das frühe Aufstehen ist nicht nur die größte Überwindung, sondern gleichzeitig auch die größte Belohnung. Wenn ich noch vor Sonnenaufgang raus gehe, herrscht eine ganz einzigartige Stimmung. Der Berufsverkehr ist noch nicht im Gange, es gibt kaum Lärm. Ich höre nur das volle Vogelstimmenkonzert und erlebe – mit etwas Glück – einen wunderbaren Sonnenaufgang. Man lernt eine völlig neue Seite unserer alltäglichen Umwelt kennen. Und man weiß nie, welche Beobachtungen einen erwarten. Auch nach acht Jahren entdecke ich immer wieder neue Arten auf meiner Probefläche. Einmal habe hat michich einen singendenr Grauschnäpper gehörtüberrascht, auf einem kleinen Schulhof mitten in der Stadt. Diese Art ist in Städten nur sporadisch zu erwarten, und wenn dann eher in größeren Parks oder auf Friedhöfen.
Was würdest Du denjenigen, die überlegen beim Brutvogelmonitoring mitzumachen, sagen?
Zuerst einmal: „Super, dass ihr euch engagieren möchtet!“. Es gibt aber tatsächlich einige Anforderungen, die man für die Teilnahme am MhB beachten sollte. Zum einen wäre da die Artenkenntnis. Im besten Fall sollte man in der Lage sein, alle Vogelarten auf der gewählten Probefläche sicher bestimmen zu können, sowohl optisch als auch am Gesang. Je nach Habitat sind das um die 20 bis 40 Vogelarten. Da die vier Begehungen stets zum Sonnenaufgang starten, sollte man sich auch nicht vor frühem Aufstehen scheuen. Und man sollte das MhB bestenfalls als Langzeitprojekt betrachten. Da das erste Jahr als Probejahr gilt, können wir die Daten erst ab mindestens 3 Jahren Teilnahmedauer auswerten. Wer all diese Bedingungen erfüllt, ist herzlich eingeladen, einen Blick auf unsere Mitmachbörse zu werfen. Dort sieht man, welche Probeflächen noch frei sind. Man kann sich auch jederzeit an uns wenden über mhb (at) nabu-vogelschutzzentrum.de.
Welche Wünsche und Hoffnungen hast Du für die Zukunft des MhB und die Entwicklung der Vogelbestände in Deutschland?
Wir haben in den vergangenen Jahren mehrere technische Hilfsmittel erarbeitet, um die Vogelerfassung zunehmend zu digitalisieren. Außerdem haben wir ein Programm namens „Autoterri“ entwickelt, das eine automatische Auswertung der Beobachtungsdaten im MhB ermöglicht. Diese Hilfsmittel entlasten die Kartierenden nicht nur, sondern erlauben es uns auch, die Ergebnisse schneller auszuwerten. In diesem Jahr ermittelten wir erstmals bereits einen Monat nach Saisonschluss vorläufige Trends für das Jahr 2024.
Ich hoffe, dass wir solche Technologien auch in Zukunft nutzen können, um das Brutvogelmonitoring weiter zu verbessern. Zudem wünsche ich mir, dass Politiker*innen und andere Akteure die Bedeutung der Roten Listen erkennen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, damit „Allerweltsarten“ wie der Feldsperling nicht dasselbe Schicksal erleiden wie der Baumpieper.
Sie haben Interesse an der ehrenamtlichen Mitarbeit?
Am 08.03.2025 von 13:00-17:00 Uhr geben wir ein Einstiegsseminar bei uns im NABU-Vogelschutzzentrum, wo wir die Methode und Hintergründe des MhB detailliert vorstellen. Darüber hinaus bieten wir Online-Seminare zu den digitalen Hilfsmitteln im MhB an. Nähere Infos zu dazu stehen auf der Website des NABU-Vogelschutzzentrums.
Brutvogelmonitoring
In diesem Projekt arbeiten derzeit landesweit rund 150 ehrenamtlich tätige Personen, die auf mehr als 200 Flächen die Bestände der weit verbreiteten und häufigen Brutvogelarten erfassen. Dadurch existiert ein Frühwarnsystem für den Erhaltungszustand unserer Umwelt.