Der Klimawandel im Schaubild: Von 1881 bis 2021 stieg die Lufttemperatur in Deutschland um 1,6 °C (Quelle: Deutscher Wetterdienst) - Foto: Claudia Wild
„Es braucht ein Potpourri an Maßnahmen für wirkungsvollen Klimaschutz“
Meteorologe Sven Plöger im NABU-Interview
Die Welt ist aus dem Gleichgewicht und wir sind Ursache und Lösung zugleich. Wissenschaftsautor Sven Plöger, 1967 in Bonn geboren, lebt seit 28 Jahren in Ulm und füllt mit seinen Vorträgen regelmäßig Säle in ganz Deutschland.
Herr Plöger, sind wir noch zu retten?
Als optimistischer Mensch würde ich sagen: Ja, aber es wird kein Spaziergang. Wenn jede und jeder einen kleinen Beitrag leistet, können acht Milliarden Menschen auf der Erde damit viel bewirken. Aktuell sind wir aber auf dem besten Weg weit übers 1,5 Grad-Klimaziel hinauszuschießen. Noch nie haben wir so viele Treibhausgase produziert wie 2024. Die Klimakatastrophe war bereits 1986 auf dem Titel des Spiegel-Magazins. Doch der laute Aufschrei blieb aus. Wir Menschen reagieren leider nicht gut auf schleichende Bedrohungen wie den Klimawandel. Fürchterliche Dinge, wie die Flut im Ahrtal, passieren zum Glück nicht ständig, geraten aber zu schnell wieder in Vergessenheit. Zugleich neigen wir zu einer Art pubertären Widerstand, sobald es um Regeln geht.
Wie sollten wir kommunizieren, um Menschen zu erreichen?
Wir brauchen mehr Mutmacher-Geschichten von Menschen, die Haltung zeigen und handeln, wie etwa vom australischen „Waldmacher“ Tony Rinaudo, dessen Wiederaufforstungsprojekt in der Sahelzone klein anfing und zu einer länderübergreifenden Grasroot-Bewegung wurde. Nur so können wir emotional für die Transformation und ihre Möglichkeiten begeistern. Die Berichte über die Klimakrise werden immer dystopischer und bedrohlicher – das funktioniert aber nicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und lässt sich nur schwer aus dem Trott bringen. Obwohl wir viel übers Klima wissen, ist der Wissensstand bei vielen Menschen nicht ausreichend. Unwissen macht ohnmächtig und führt zu unsachlichen Diskussionen. Daher möchte ich in spannenden Geschichten erklären, worauf es ankommt und Klimabildung schaffen. Wir sind die Stellschraube, wir können den Thermostat runterdrehen und die Erdüberhitzung stoppen.
Welche Stellschrauben gibt es für den Klimaschutz?
Wir werden nicht die große Lösung finden, sondern haben ein riesiges Potpourri, das wir einsetzen können. Umso wichtiger ist es, über kleine Erfolge zu sprechen und andere damit anzustecken. Zugleich braucht es monetäre Anreize und strukturelle Veränderungen: Wer die Umwelt verschmutzt, darf nicht reicher werden als jemand, der sie schützt. Mehr Klimaschutzambitionen täten uns gut: Deutschland ist auf Platz 7 der größten Treibhausgas-Produzenten. Das heißt: 188 Länder sind besser als wir. Jede Person in Deutschland produziert rechnerisch acht Tonnen CO2 pro Jahr, für den 1,5-Grad-Kurs dürften es aber nur zwei Tonnen sein. Global befinden wir uns gerade auf einem 2,7 Grad Pfad, in den letzten zwölf Monaten stieg die Erdtemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau der Jahre 1850 bis 1900 um 1,64 Grad. Mehr Entschleunigung, mehr Respekt vor der Natur und mehr Unterstützung für die Länder des globalen Südens werden dringend gebraucht.
Welche Rolle spielt die Natur beim Klimaschutz?
Wenn wir zum Beispiel auf die Moore schauen, sehen wir ein riesiges Potenzial. Vier Prozent der Moore weltweit können mehr CO2 aufnehmen als alle Wälder der Welt. Moore mit dem richtigen Tempo wiederzuvernässen ist extrem wirkungsvoll.
Warum lohnt sich Klimaschutz ökonomisch?
Wenn wir den Klimawandel ignorieren, wird uns das teuer zu stehen kommen. Jeder nicht vernünftig in den Klimaschutz gesteckte Euro kostet uns zwei bis elf Euro an Schäden.
Der warme Sommer und das Hochwasser dieses Jahr – ist das Klimawandel?
Wir spüren im Wetter den Klimawandel. Heftige Unwetter, wie der Starkregen Ende Mai und Anfang Juni in Süddeutschland oder die Flut im September in Österreich, Tschechien und Polen, werden durch den Klimawandel massiv gefördert. Jedes Grad mehr sorgt dafür, dass sieben Prozent mehr Wasserdampf in der Atmosphäre ist. Wo mehr drinnen ist, kann mehr rausfallen. Der Jetstream verliert an Fahrt, wodurch Tiefs und Hochs länger über einem Gebiet verharren. Die Meere nehmen viel Energie auf und so hat sich die Deckschicht der Ozeane um 0,5 bis 1 Grad erwärmt, eine für Wasser extreme Erwärmung. Das Grönlandeis schmilzt fünf Mal schneller als in den 1980er Jahren. Das Mittelmeer heizt sich auf – wer darin schwimmt, fühlt sich wie in einer Badewanne, wir haben es quasi mit einem „maritimen Feuer“ zu tun. Machen wir uns nicht länger was vor, handeln wir lieber schnell, statt weiter gegen sinnvolle Maßnahmen zu protestieren.