Insektensterben: Ist das Wetter schuld?
Studie zeigt, warum wir Lebensräume schützen müssen
Was stimmt denn nun? Jahrelang schien die Lage klar. Naturschutzverbände und Forschende sahen die Intensivierung der Landwirtschaft als einen der wichtigen Auslöser für das Insektensterben in Deutschland. Einige plakative Überschriften in verschiedenen Medien scheinen dem jetzt zu widersprechen. Sie machen stattdessen das Wetter verantwortlich. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch eine neue Studie. Es lohnt sich, diese Studie genauer unter die Lupe zu nehmen.
2023: Umstrittene Studie zum Insektensterben in Deutschland
Ende September 2023 sorgte eine deutsche Studie mit dem Originaltitel „Weather explains the decline and rise of insect biomass over 34 years“ für Aufsehen. Übersetzt lautet der Titel „Das Wetter erklärt den Rückgang und Anstieg der Insektenbiomasse über 34 Jahre hinweg“. Doch zeigen die Ergebnisse der Studie wirklich, dass nur das Wetter für den Insektenschwund verantwortlich ist? Und welche neuen Erkenntnisse haben die Forschenden darüber gewonnen, wie wir Insekten in Zukunft besser schützen können?
Was wurde untersucht?
Ein Forschungsteam hat sich die Daten zur Insektenbiomasse aus der sogenannten Krefeld-Studie noch einmal angesehen. Außerdem sammelten sie neue Daten in Süddeutschland. Der somit erweiterte Datensatz wurde mit den Wetterdaten vor Ort verglichen, um ein Modell zu berechnen.
Zur Erinnerung: Die 2017 veröffentlichte Krefeld-Studie hatte eine alarmierende Abnahme der Insektenbiomasse in Deutschland dokumentiert. Über einen Zeitraum von etwa 27 Jahren wurde eine Abnahme von über 75 Prozent der Insektenbiomasse festgestellt. Ursachen für den Insektenrückgang konnten mit den damals vorliegenden Daten nicht genau belegt werden.
Wie hängt der Insektenschwund mit dem Wetter zusammen?
Das Forschungsteam der aktuellen Studie beschreibt, dass Wetteranomalien wie Dürren oder Hitzewellen zur Abnahme der Insektenbiomasse führen. Das sei der Fall, wenn sich das Wetter über einige Jahre hinweg zu mehreren Zeitpunkten im Jahresverlauf ändere.
Die Ergebnisse zeigten, dass zu warme und zu trockene Winter sowie zu kalte und zu nasse Sommer das Insektensterben beschleunigen. Die Ursache dafür sei, dass Insekten trockenwarme Winter seltener überleben und dass weniger Insekten schlüpfen, wenn der Frühling nasskalt ist. Die Forschenden schreiben die beiden beobachteten Wetteranomalien dem Klimawandel zu. Sie erklären, dass der Klimawandel dadurch schon jetzt das Insektensterben in Deutschland beschleunigt. Deshalb werden Naturschutzmaßnahmen in Zukunft immer wichtiger.
Kritik von anderen Forschenden
Kurz nach Veröffentlichung der Studie äußerten zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Kritik an der Studie, beispielsweise in Stellungnahmen für das Science Media Center.
Ein Kritikpunkt ist der Titel der Studie. Er ist so formuliert, als gäbe es eine einzige Ursache für das Insektensterben: das Wetter. Eine Ursache lässt sich aber mit der in der Studie verwendeten Methode gar nicht nachweisen. Durch sie können nur statistische Zusammenhänge zwischen Wetter und Insektenmasse erkannt werden, keine Ursachen.
Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass das Wetter zwar einen großen Teil der Biomasseschwankungen erklärt. Es ist aber keineswegs der einzige relevante Faktor im Modell des Forschungsteams. Der Verlust von Lebensräumen führt - wie die Wetterveränderungen - zu einem ebenso hohen Verlust der Insektenbiomasse.
Ursachen für das Insektensterben
Tatsächlich ist das Wetter wichtig für die Entwicklung von Insekten, weil diese wechselwarm sind und stark auf Temperatur und Feuchtigkeit reagieren. Aber es gibt viele weitere Einflussfaktoren.
Viele landwirtschaftliche Praktiken richten sich nach dem Wetter, beispielsweise der Einsatz von Pestiziden. Landwirtinnen und Landwirte legen je nach Wetter auch die Termine fest, zu denen sie pflügen, säen und mähen. Jeder dieser Termine hat Auswirkungen auf die Anzahl und Biomasse von Insekten. All diese Aspekte wurden in der aktuellen Studie nicht berücksichtigt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen außerdem, dass der Verlust von hochwertigen Lebensräumen als Einflussfaktor für das Insektensterben genauso wichtig ist wie das Wetter.
Das können wir gegen das Insektensterben tun
Das Forschungsteam betont, dass es sehr wichtig ist, dass Insekten hochwertige Lebensräume vorfinden. Die Auswirkungen des Klimawandels, die das Team jetzt schon erkennen konnte, machen den Schutz von Lebensräumen noch dringlicher. Wenn es nur wenige hochwertige Lebensräume gibt, dann sind die kleinen Insektenpopulationen in diesen Lebensräumen einem hohen Aussterberisiko ausgesetzt, wenn Wetteranomalien ihnen zu schaffen machen. Große Insektenpopulationen, die Zugang zu vielfältigen und vernetzten Lebensräumen haben, haben dagegen viel bessere Überlebenschancen während ungünstiger Wetterbedingungen.
Schutz von hochwertigen Lebensräumen notwendig
Die Forschenden schlussfolgern, dass sie, angesichts der derzeit verfügbaren Beweise, Maßnahmen zur Steigerung der Verfügbarkeit und Qualität von Lebensräumen als den vielversprechendsten Ansatz betrachten, um das Risiko klimawandelbedingten Aussterbens von Insekten zu reduzieren.
Auch zahlreiche andere Studien bestätigen die Notwendigkeit von hochwertigen Lebensräumen für Insekten. In Baden-Württemberg wirbt deshalb das NABU-Projekt „Landwirt-schaf(f)t Lebensraum – Refugialflächen für die Artenvielfalt“ dafür, dass Landwirtinnen und Landwirte hochwertige Lebens- und Rückzugsräume in der Agrarlandschaft schaffen, sogenannte Refugialflächen. Hochwertig angelegte Refugialflächen, wie beispielsweise mehrjährige Blühbrachen, bieten Insekten ganzjährig Nahrung, Schutz und die Möglichkeit, dass sie sich erfolgreich entwickeln und vermehren können.
Wie der Insektenschwund mit dem Klimawandel zusammenhängt
Die aktuelle Studie hat also Zusammenhänge zwischen dem Insektensterben und Wetteranomalien, die mit dem Klimawandel zusammenhängen, festgestellt. Sie hat daneben aber auch weitere Einflussfaktoren gefunden. Einer dieser Faktoren, dessen Einfluss auf das Insektensterben genauso groß war wie das Wetter, ist die Verfügbarkeit von vielfältigen Lebensräumen für Insekten.
Das Forschungsteam der Studie sieht ihre Ergebnisse als Weckruf, dass der Klimawandel schon jetzt das Insektensterben in Deutschland beschleunigt. Die bisherigen Forderungen von Naturschutzverbänden und Forschenden sind deshalb durch die Studie noch wichtiger geworden: der Schutz von hochwertigen Lebens-und Rückzugsräumen muss höchste Priorität haben.
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