Waldweide für mehr Insekten - Foto: Christian Dietz
Hermann-Hesse-Bahn
NABU erfolgreich im Einsatz für Fledermäuse
Stuttgart / Calw – Mit insgesamt etwa tausend Tieren von 18 verschiedenen Arten zählen die Tunnel „Hirsau“ und „Forst“ auf der alten Bahnstrecke der Hermann-Hesse-Bahn zwischen Calw und Weil der Stadt zu den bedeutendsten Überwinterungs- und Schwärmquartieren für Fledermäuse im süddeutschen Raum. Vor 40 Jahren fuhr der letzte Personenzug durch die alten Tunnelröhren. Fünf Jahre später stellte die Bahn auch den Güterverkehr auf der Strecke ein. Noch während des Bahnverkehrs hatten sich in den Bahntunneln Fledermäuse angesiedelt, was seit 1993 bekannt ist. Nach Ende des Zugverkehrs entdeckten immer mehr der lautlosen Insektenjäger die geschützten Kammern hinter der Ausmauerung der Röhren für sich. Viele nutzen diese vor allem im Winter als Winterquartier. Jedes Jahr im Spätsommer, von Juli bis Mitte Oktober, schwärmen sie zur Partnersuche und zur Inspektion der Quartiere aus – dann ist die Luft vor den Tunnelportalen erfüllt von umherschwirrenden Fledermäusen.
Mitte der 1990er Jahre kaufte der Landkreis Calw die stillgelegte Bahnstrecke und startet zahlreiche Versuche zur Reaktivierung, bis schließlich 2015 ein Konzept und ein Kostenplan auf dem Tisch lagen – unter dem Namen Hermann-Hesse-Bahn (HHB) soll die alte Bahnstrecke reaktiviert werden. Parallel zur Planung versuchte der Landkreis zunächst durch Vergrämung die Fledermäuse zur Umsiedlung zu bewegen – vergeblich. Der NABU schaltete sich auf vielen Ebenen früh in die Pläne ein und setzte sich in Gesprächen, auf Infoveranstaltungen und später auch juristisch für den Schutz der teils vom Aussterben bedrohten Arten ein. Mit Erfolg: Zunächst muss gewährleistet sein, dass die Feldermäuse, die allesamt streng geschützt und zum Teil vom Aussterben bedroht sind, ihre Quartiere weiter ganzjährig ungefährdet nutzen können. Dafür wird in die beiden betroffenen Tunnelröhren eine Trennwand eingezogen. In dem einen Teil können die Fledermäuse einfliegen, während der Zug von ihnen getrennt durch den Tunnel auf der anderen Seite einfährt. Mit Ultraschall und Licht werden die Tiere vom Einflug in die Zug-Tunnelröhre abgehalten.
Von den deutschlandweit vorkommenden 25 Fledermausarten kommen 23 Arten auch in Baden-Württemberg vor. 18 Arten kommen in den beiden Tunneln „Hirsau“ und „Forst“ vor. Etwa 700 Tiere aus neun Arten überwintern im Hirsauer Tunnel, rund 300 Tiere aus zehn Arten im Tunnel „Forst“. Beide Tunnel zählen mit zu den arten- und individuenreichsten Winterquartieren des Landes und sind für den Erhalt der Fledermauspopulation in Baden-Württemberg von eminenter Bedeutung. Darüber hinaus ist insbesondere der Hirsauer Tunnel eines der wichtigsten Schwarmquartiere. Das Schwärmen dient der Fortpflanzung, ist also wichtig für den genetischen Austausch und damit für den Erhalt.
Eine Chronologie zeigt auf, wie sich der NABU bei der HHB als Anwalt der Natur engagiert
- September 2024: Vergrämungstest läuft, Waldweide startet
Lassen sich die Fledermäuse erfolgreich in die für sie vorgesehenen Röhrenhälften umleiten? Der Versuch läuft. Ultraschallsignale an den Tunneleingängen funktionieren insgesamt gut und hindern die Fledermäuse daran, in die falsche Röhrenhälfte einzufliegen. Nur die Zwerg- und die Breitflügelfledermäuse tun sich noch schwer damit. Nach Installation von zusätzlichen Lichtsignalen scheint es auch für diese beiden Arten zu funktionieren. Ob diese Maßnahme ausreicht, muss nun validiert werden. Im Zweifel müsste der Test Ende März 2025, wenn die Tiere aus dem Winterschlaf erwachen, wiederaufgenommen werden. Über die genaue Vorgehensweise entscheidet das Regierungspräsidium Karlsruhe.
Parallel laufen populationsstützende Maßnahmen im weiteren Umfeld der Tunnel. Zahlreiche Fledermauskästen, Streuobstwiesen, Waldrefugien, Habitatbäume und neue Winter- und Sommerquartiere werden hergerichtet. Lichte, insektenreiche Wälder helfen den Fledermäusen bei der Jagd. Im Gechinger Gemeindewald wurde daher eine 8,5 Hektar große Waldweide mit Rindern und Ziegen eingerichtet.
- September 2023: CDU-Kreisrat Simon Klass stellt Schutzkonzept und Einigung aus Kostengründen infrage
Johannes Enssle: „Es müsste eigentlich inzwischen bekannt sein, dass neben dem Klimawandel die Artenkrise eine der beiden großen Menschheitskrisen ist, die uns alle massiv betreffen wird. Mit der Alternative, einer Umfahrung des Hirsauer Tunnels, lassen sich schwerlich Kosten einsparen.“
- 21.9.2020: Spatenstich für den Neubautunnel
Johannes Enssle: „Wir sind froh, dass mit dem Fledermaustunnel eine gute Lösung für den öffentlichen Nahverkehr und den Artenschutz gefunden wurde. Unsere Hartnäckigkeit und das lange Ringen um eine gute Lösung haben sich gelohnt.“
- 3.6.2019: NABU und Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn unterzeichnen öffentlich-rechtlichen Vertrag
Der NABU zieht seine Klage gegen die HHB zurück, nachdem eine Lösung zum Ausbau bei gleichzeitigem Schutz der Fledermauspopulationen durch eine Tunnel-in-Tunnel-Lösung gefunden wurde.
- März 2017: In einem durch Verkehrsminister Winfried Hermann moderierten Dialog suchen NABU und Landkreis Calw gemeinsam nach Lösungen
Johannes Enssle: „Das Vermittlungsverfahren zeigt, dass auch bei komplexen Bauvorhaben Lösungen für Artenschutzfragen gefunden werden können, wenn alle Beteiligten ernsthaft danach suchen.“
- 13.1.2017: Pressegespräch in Stuttgart zum aktuellen Stand des laufenden Klageverfahrens
Hans-Peter Kleemann, stellvertretende NABU-Landesvorsitzende: „Für einige Fledermausarten gehören die Bahntunnel zu den wichtigsten Winterquartieren Baden-Württembergs. Sie sind überlebenswichtig für die Populationen. Betroffen sind mindestens 15 Arten, darunter Bartfledermäuse, Braune Langohren und Fransenfledermäuse.“
- 21.12.2016: Verwaltungsgericht Karlsruhe untersagt Rodung sensibler Bereiche
In naturschutzfachlich weniger kritischen Bereichen darf weiter gerodet werden.
- 6.12.2016: Gründung des Zweckverbands Hermann-Hesse-Bahn
- November 2016: NABU beantragt vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe einen Stopp der Rodungen an der Trasse
- November 2016: Landkreis Kreis rodet große Teile der Bahntrasse, um Bauarbeiten vorzubereiten
Dabei werden auch naturschutzfachlich wertvolle Lebensräume zerstört.
- August 2016: NABU klagt vor dem Verwaltungsgericht Mannheim gegen den ersten Planfeststellungsbeschluss
- Januar 2015: NABU BW und betroffene NABU-Ortsgruppen reichen Stellungnahmen zur HHB ein
Darin kritisieren sie das Fehlen einer akzeptablen Lösung zum Schutz der Fledermäuse.
- September 2014: Versuche zur Vergrämung der Fledermäuse scheitern
Der NABU kritisiert die versuchte Vertreibung von einer derart großen Population von Fledermäusen als völlig inakzeptabel.
- Landkreis und Land setzen sich für die Reaktivierung der stillgelegten Bahnstrecke der Württembergischen Schwarzwaldbahn zwischen Weil der Stadt und Calw ein.
Das Projekt heißt künftig Hermann-Hesse-Bahn. Die Strecke von Stuttgart nach Calw wurde 1872 eröffnet und später größtenteils elektrifiziert, in den 1980ern nahm die Bahn den letzten Abschnitt ab Weil der Stadt außer Betrieb.
Von den deutschlandweit vorkommenden Fledermausarten sind in Baden-Württemberg 23 Arten nachgewiesen, davon nutzen 18 die alten Eisenbahntunnel bei Calw. Die meisten Tiere suchen Winterquartiere auf, die weitgehend unabhängig von Witterung und Winterverlauf dieselben kühlen Temperaturen haben (1 bis 7 Grad Celsius). Solch beliebte Quartiere werden ganzjährig von sehr vielen Tieren genutzt, sind zugleich Treffpunkt zur Partnersuche und die Umgebung dient als Nahrungshabitat. In Baden-Württemberg sind 18 große Winterquartiere gekannt, die über das Land verteilt sind, zu diesen gehören die beiden Tunnel der Hermann-Hesse-Bahn. Sie sind als große Schwärmquartiere Hotspots für den genetischen Austausch der Fledermäuse im Land. Der Hirsauer Tunnel hat mit bis zu 16 regelmäßig nachgewiesenen Arten ein sehr großes Artenspektrum.