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Mehr ...Insektensterben bedroht unsere Existenz
NABU-Referent Martin Klatt über die Abnahme der biologischen Vielfalt
Was genau versteht man eigentlich unter dem Begriff „Insektensterben“?
Das Wort „Insektensterben" ist derzeit in aller Munde. Richtig ist, dass wir es momentan mit einem dramatischen Einbruch vieler Insektenbestände zu tun haben. Bei einer Zahl von über 30.000 Insektenarten in Europa, zum Beispiel Käfer, Schmetterlinge, Zweiflügler, Hautflügler, Wanzen, Netzflügler oder Heuschrecken, ist schwer zu beurteilen, welche Arten besonders bedroht sind. Ich beschäftige mich selbst mit Wildbienen, zu denen auch unsere Hummeln zählen. Bei diesen stellen wir auch bei früher häufigen Arten fest, dass der Bestand extrem abgenommen hat oder sogar vollständig fehlt!
Warum ist diese Abnahme so problematisch?
Wir wissen heute, dass der Rückgang der biologischen Vielfalt eine der größten Bedrohungen unserer Existenz bedeutet. Nicht umsonst haben die Vereinten Nationen 1992 in Rio die „Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt“ (CBD) beschlossen. Am konkreten Beispiel der Blüten besuchenden Insekten lässt sich gut aufzeigen, welche Konsequenzen der Rückgang der Artenvielfalt für uns hat. Man hat ausgerechnet, dass die Pflanzenbestäubung durch Insekten weltweit einem ökonomischen Wert von rund 153 Milliarden Euro entspricht. Anders ausgedrückt: Diesen Betrag würde es kosten, wenn wir an Stelle der Insekten Blüten eigenständig bestäuben müssten – beispielsweise für die Erzeugung von Obst. Auch die Regeneration der Böden und die Reinigung der Gewässer (geschätzte Kosten etwa vier Billionen Euro/Jahr) hängt von der biologischen Vielfalt ab. Da zählen vor allem die Organismen, die wir kaum im Fokus haben: Pilze, Bakterien, Einzeller.
Worin liegen die Hauptgründe für die massive Abnahme der Insektenbestände?
Das ist natürlich ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Eine Schlüsselrolle spielt die intensive landwirtschaftliche Nutzung der Landschaft mit all ihren Begleiterscheinungen. Etwa die Ausräumung der Landschaft, der großflächige Anbau nur sehr weniger Nutzpflanzen und der flächendeckende Einsatz von so genannten Pflanzenschutzmitteln. Der Einsatz von Herbiziden – wie Glyphosat – wirkt sich negativ auf die Vielfalt der Pflanzenwelt aus und entzieht so vielen Insekten die Nahrungsgrundlage. Auch gezielte Gifte gegen Insekten (Insektizide) und Pilze (Fungizide) bedrohen die Insektenwelt. Darüber hinaus spielt der direkte Verluste an Lebensräumen, zum Beispiel durch neue Baugebiete und Straßen, und die schwindende Nahrungsgrundlage durch monokulturelle Pflanzenbestände eine Rolle. Denken wir nur an die blütenfreien Rasenflächen oder an Zierpflanzenbeete, die unseren Insekten oft keine Nahrung liefern.
Kann man generell etwas über die längerfristige Entwicklung der Insektenbestände sagen?
Nein, denn es gibt keinen Überblick über die Bestandsentwicklung aller Insektenarten. Bei den Artengruppen, die genauer beobachtet werden, wird allerdings zunehmend deutlich, dass die Entwicklungen negativ sind. Einzelne Studien belegen das sehr eindrücklich – beispielsweise diejenige des Entomologischen Vereins Krefeld und des NABU, wo seit 1989 an 88 Standorten die Insektenwelt erfasst wird. Hier fällt der Befund fast immer sehr negativ aus!
Wie genau geht man bei der Erfassung einzelner Insektenarten überhaupt vor?
So vielfältig die Insektenarten sind, so vielfältig sind auch die Erfassungsmethoden ihrer Bestände. In der Krefelder Studie wurden Malaise-Fallen aufgestellt. Das sind automatische Fallen, in denen sich praktisch alle flugfähigen Insekten verfangen. Die Fallen werden regelmäßig geleert und die Fänge in der Fangflüssigkeit ausgewertet.
Für Nachtfalter nutzt man die Lockwirkung von Kunstlicht, für Laufkäfer werden Becher mit Fangflüssigkeit in den Boden eingegraben, in welche die Tiere hineinfallen. Blüten besuchende Insekten lassen sich mit Farbschalen anlocken, Käfer in Totholz zählt man durch gezielte Untersuchungen von Fraßlöchern im Holz. Nicht zu vergessen: der Insektenfang mit dem Netz. Dadurch erhält man sehr viele Zusatzinformationen, die bei den automatischen Fallen nicht gewonnen werden können, zum Beispiel welche Blüten eine Ackerhummel angeflogen, ob sie nur Nektar getrunken oder auch Pollen gesammelt hat.
Für langfristig angelegte Studien ist es absolut notwendig, die Methode während der Untersuchungszeit nicht zu wechseln, denn ansonsten lassen sich keine vergleichbaren Datenreihen ermitteln. Außerdem sind Probeflächen zu definieren und ebenso kontinuierlich zu nutzen. In Deutschland gibt es allerdings noch keine langfristige Bestanderhebung bei Insekten, kein sogenanntes Monitoring. In der Schweiz findet hingegen schon seit vielen Jahren eine standardisierte Erfassung vieler Artengruppen statt – beispielsweise für Tagfalter, die anhand festgelegter Zählstrecken registriert werden.
Was genau sollte getan werden, um die Abnahme der Insektenbestände in Zukunft besser beurteilen zu können?
Ein bundesweites „Biodiversitätsmonitoring" – so der Fachbegriff – ist überfällig, sonst werden wir weiterhin auf lückenhafte Daten angewiesen sein. Das kontinuierlich fortgeschriebene Wissen um die biologische Vielfalt ist unbedingt notwendig, wenn wir nur daran denken, wie wichtig die Leistung der Blüten besuchenden Insekten für die Bestäubung unserer Kulturpflanzen ist. Hier reicht ein gesunder Bestand der Honigbiene allein bei weitem nicht aus. Wir wissen heute, dass wir einen gesunden Bestand aller Insekten brauchen, um gute Erträge, etwa im Obstbau, zu sichern.
Wie ist die Situation in Baden-Württemberg?
Ein langfristig angelegtes und systematisches Monitoring über das Land hinweg und über eine Vielzahl von Insektengruppen gibt es auch in Baden-Württemberg leider nicht. Hilfsweise zeigt der Blick in die Roten Listen der verschiedenen Insektengruppen in Baden-Württemberg vielfach, dass Arten, die bislang noch als ungefährdet galten, nun auf der Liste der bedrohten Arten stehen. Bei den Wildbienen zum Beispiel wird die Zahl der „Rote-Liste-Arten“ stets länger.
Es existieren allerdings umfangreiche Datenbanken zu einzelnen Insektengruppen: zum Beispiel am „Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe“ zu den Schmetterlingen (www.schmetterlinge-bw.de) oder am „Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart“ zu den Wildbienen (www.wildbienen-kataster.de).
Was im Land jedoch noch fehlt, ist ein auf Dauer flächendeckendes Monitoring, wie es in der Schweiz vorbildlich durchgeführt wird.
Manche Zeitgenossen mögen sich darüber freuen: Die Windschutzscheibe bleibt länger sauber, und das hektische Gefuchtel an der sommerlichen Kuchentafel auf der Terrasse könnte demnächst weniger heftig ausfallen. Für die biologische Vielfalt jedoch ist das eine schlechte Nachricht. Mehr →