Europawahl 2024
Weiter mutig am Green Deal arbeiten





Die Wellen der EU-Wahl ebben langsam ab und legen ein Europa frei, das in Teilen rechtskonservativer und rechtspopulistischer geworden ist. Für den Naturschutz und die Umsetzung des Green Deals – des europäischen Wegs hin zu einem klimaneutralen, nachhaltig wirtschaftenden Kontinent – ist dies keine gute Basis. Angesichts der ohnehin weit verbreiteten Zukunftsängste bedrohen einige politische Kräfte mit ihren Angriffen auf den Green Deal und die EU insgesamt die langfristige Sicherheit auch in Baden-Württemberg. Das Abstimmungsverhalten der vergangenen Jahre im EU- Parlament belegt, dass rechtskonservative und rechtsnationalistische Parteien Maßnahmen zum Schutz der Umwelt häufig ablehnen. Im EU-Parlament wird es daher schwieriger, Mehrheiten für wichtige Fragen des Natur-, Arten- und Klimaschutzes zu bekommen.
Knappe Mehrheit für EU-Renaturierungsgesetz
Doch es gibt auch Hoffnung: Mit hauchdünner Mehrheit haben die EU-Mitgliedsstaaten kürzlich im Umweltrat dem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt: „Dass das Gesetz verabschiedet wurde, ist eine wichtige Wegmarke für den Naturschutz in ganz Europa. Jetzt braucht es eine ambitionierte Umsetzung, damit das Gesetz zum Erfolg wird, auch bei uns in Baden-Württemberg“, sagt Enssle „Gesunde Böden und eine vielfältige Insektenwelt sind wichtig, damit wir Nahrungsmittel produzieren können. Eine intakte Natur hilft uns dabei, die Klimakrise und ihre Folgen – wie Hitze und Hochwasser – abzumildern. Denn renaturierte Flussauen speichern Wasser, lebendige Wälder und Moore speichern CO2 und kühlen die Umgebung“, betont Enssle. Er hofft, dass die Zusage zur Wiederherstellung der Natur die neuen Abgeordneten im Europaparlament motiviert, den Green Deal weiter voranzubringen.
Weil Demokratie, Europa, Natur- und Klimaschutz sowie Nachhaltigkeit fundamental für unsere Gesundheit, für Wohlstand und Sicherheit sind, hofft der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle auf einen langfristigen Sieg der Vernunft: „Den Kopf in den Sand zu stecken und notwendige Veränderungen zu ignorieren, hilft nicht weiter. Es gilt, unseren Zukunftsängste aktiv zu begegnen und in Europa gemeinsam Lösungen zu suchen. Statt Panik und Populismus brauchen wir Visionen und Mut.“
Erfolge im Naturschutz dank EU
Die Europäische Union (EU) ist verantwortlich für etwa 80 Prozent aller Regelungen im Umwelt- und Naturschutz – auch in Baden-Württemberg. Damit schützt die EU auch unsere Lebensgrundlagen und unseren Wohlstand. Ihre Gesetze sind zudem entscheidende Instrumente für den aktiven Naturschutz. Sie stärken zivilgesellschaftliche Organisationen wie den NABU dabei, für die Rechte der Natur einzutreten. Ein herausragendes Beispiel ist das Schutzgebietsnetz „Natura 2000“, das wertvolle Lebensräume für bedrohte Arten schützt. Erfolge wie diese sind das Ergebnis einer starken und geeinten Europäischen Union. Lesen Sie mehr dazu, wie EU-Gesetze die Natur in Baden-Württemberg schützen.
Künftig vertreten neun EU-Politikerinnen und -Politiker die rund elf Millionen Menschen aus Baden-Württemberg. Die Wahlbeteiligung im Südwesten war überdurchschnittlich hoch mit 66,4 Prozent (Quelle: www.europawahl-bw.de). Die CDU wurde erneut stärkste Kraft mit vier Sitzen, die SPD ist mit zwei Abgeordneten vertreten, Grüne, AfD und FDP sind jeweils mit einer Person vertreten. Die CDU erhielt 32 Prozent (+1,2) der Stimmen, gefolgt von der AfD mit 14,7 Prozent (+4,7). Die Grünen erhielten 13,8 Prozent (-9,5), die SPD 11,6 Prozent (-1,7). Die FDP bleibt bei 6,8 Prozent, BSW kam auf 4,5 Prozent der Stimmen. Weitere Parteien erhielten insgesamt 14,7 Prozent.
Hintergrund: Der Green Deal – ein europäischer Klimapakt
Mit dem Green Deal verankerte die EU-Kommission 2019 Nachhaltigkeit als wichtiges Handlungsziel. Klimaneutralität bis 2050 steht dabei im Zentrum, ein erster Schritt dorthin ist eine CO2-Reduktion bis 2023 um 55 Prozent. Hinzu kommen zahlreiche Maßnahmen und neue Gesetze, die eine neue Umwelt- und Klimapolitik unterstützen. Dazu zählen ein Gesetz zur Wiederherstellung von Naturräumen in Europa, ein Recht auf Reparatur von Produkten, nachhaltige Mobilität, Kreislaufwirtschaft, eine saubere Energiegewinnung, eine schadstofffreie Umwelt sowie ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem. Hinzu kommen Forschung und Förderung von Innovation sowie die Finanzierung der Wende. Auf ihrem Weg will die EU zudem niemanden zurücklassen, weder Gruppen noch Regionen.
So schützt die EU die Natur in Baden-Württemberg
Im NABU-Check: Fünf Beispiele für erfolgreichen Naturschutz
Die Europäische Union (EU) ist für einen Großteil der Natur- und Umweltgesetze verantwortlich. Auch für den Natur- und Umweltschutz in Baden-Württemberg ist sie der stärkste Hebel. Das zeigen folgende Beispiele.
Das artenreiche Wollmatinger Ried
„Das Wollmatinger Ried beherbergt mit seinen 773 Hektar einen einzigartigen Reichtum an Natur. Hier gibt es 600 Pflanzenarten, 350 Schmetterlings- und 290 Vogelarten, darunter brütende Rohrweihen, Drosselrohrsänger und Zwergdommeln – allesamt stark bedroht. Die Region ist auch Heimat von 23 Orchideen, drei Enzianarten, der sibirischen Winterlibelle und verschiedenen Ameisen-Bläulingen. Dank der EU-Gesetzgebung, insbesondere der Vogelschutzrichtlinie von 1979 und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) von 1992, wurde das Schutzgebietsnetz ‚Natura 2000‘ geschaffen. Das Wollmatinger Ried ist Teil dieses Netzwerks.“
Wertvolle Gewässer für das Bachneunauge
„Das Bachneunauge hat seinen Namen den runden Kiemenöffnungen zu verdanken. Zusammen mit dem Auge und der Nasenöffnung ergibt dies neun ‚Augen‘ auf jeder Körperseite. Sein aalähnliches Aussehen täuscht: Es ist mit dem Aal nicht besonders nah verwandt, sondern gehört zu einer sehr ursprünglichen Tiergruppe, die keine Knochen bildet. Daher besitzt das Bachneunauge auch keinen Kiefer, sondern eine runde Mundscheibe mit Zähnen. Das bleistiftdünne, höchstens 17 Zentimeter lange Tier findet einen Lebensraum in sauberen Bächen, Flüssen und auch in Stillgewässern.
Das Bachneunauge gehört zu den Arten, die durch die FFH-Richtlinie geschützt sind. Es profitiert zusätzlich von der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die beim Schutz der Gewässer eine entscheidende Rolle spielt. Gemäß dieser Richtlinie müssen alle EU-Mitgliedsstaaten bis 2027 sicherstellen, dass sämtliche Gewässer einen guten chemischen und ökologischen Zustand erreichen.“
Sichere Heimat auf Refugialflächen
„Das Rebhuhn findet in mehrjährigen Blühbrachen auf Ackerflächen eine neue Heimat. Frühes Mähen der Wiesen, eine aufgeräumte Agrarlandschaft, intensiver Ackerbau und ein übermäßiger Pestizideinsatz haben dazu geführt, dass der Bodenbrüter seinen Lebensraum verlor. Doch dank der europaweiten Arbeit vom NABU und seinen Partnern und den Vorgaben der EU im Bereich des Naturschutzes wandelt sich auch die Gemeinsame europäische Agrarpolitik langsam zum Besseren. Ein langsamer und sehr mühsamer Prozess, der leider auch immer wieder Rückschläge erfährt, aber dennoch nicht hoffnungslos ist. Landwirtschaftliche Betriebe werden zunehmend dafür gefördert, mehrjährige Blühbrachen anzulegen. Hier finden Rebhuhn, Grauammer, Insekten, Feldhasen und viele andere Feldbewohner Nahrung und neuen Lebensraum.“
Tierische Untermieter an Gebäuden
„An unseren Häusern leben oft ganz unbemerkt eine Vielzahl von Vogel- und Fledermausarten, darunter Mauersegler, Haussperling, Hausrotschwanz, Zwergfledermaus und Breitflügelfledermaus. In Mauernischen, an Dachvorsprüngen und anderen Verstecken ruhen und brüten sie oder bilden ihre Wochenstuben. Jedes Jahr kommen die Tiere an dieselben Gebäude zurück.
Wenn im Zuge von Sanierungen alle Schlupflöcher an Häusern versiegelt werden, haben sie ein Problem. Daher sind ihre Quartiere und Nistplätze nach dem Bundesnaturschutzgesetz (Paragraph 44) streng geschützt. Das Gesetz stützt sich auf die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union. Die EU gibt den tierischen Bewohnern eine Stimme. Mit Erfolg: Immer mehr Firmen und Privatpersonen beziehen den Artenschutz an Gebäuden in ihre Planungen mit ein.“
Unser Recht auf Informationen

Andrea Molkenthin-Kessler, Referentin für Klimaschutz, Energie und Verbandsbeteiligung - Foto: NABU/Ann-Kathrin Mertz
„Das Umweltinformationsgesetz (UIG) basiert auf der Aarhus-Konvention, dem ersten internationalen Vertrag, der Umwelt- und Menschenrechte verknüpft. Es stellt sicher, dass Bürgerinnen und Bürger Informationen über die Umwelt bei Behörden einholen können. Die EU hat dazu eine Richtlinie erlassen, die die Mitgliedsstaaten umsetzen mussten. Dem NABU als Naturschutzverband und allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern ermöglicht sie entscheidende Einblicke in Behördenvorgänge.
Wissen ist Macht. Ohne das UIG wüssten wir zum Beispiel nicht, wo Streuobstwiesen durch geplante Bebauungen bedroht sind und könnten uns nicht mit voller Kraft dafür einsetzen, sie zu erhalten. Diese Streuobstwiesen sind Hotspots der Artenvielfalt und müssen geschützt werden. Auf der gleichen Grundlage konnten wir erfahren, wie viele Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Das mussten wir zwar vor Gericht erwirken, aber ohne UIG wäre uns dieser Zugang verwehrt geblieben. Die EU ist also auch Hüterin unserer Bürgerrechte.“
NABU und NAJU zu Besuch im EU-Parlament in Straßburg
30 Haupt- und Ehrenamtliche des NABU und der NAJU aus Baden-Württemberg besuchten am 25. April 2024 das EU-Parlament in Straßburg. Neben einem intensiven Austausch mit einem der Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland, hatte die Gruppe auch die Gelegenheit, an einer Plenarsitzung teilzunehmen. Im anschließenden Politik-Rollenspiel setzten sich die Teilnehmenden, aufgeteilt in verschiedene Ausschüsse und Fraktionen, mit Rechtsvorschriften zu komplexen Problemen, wie dem Zugang zu Trinkwasser im Zeitalter des Klimawandels, auseinander. Beim Besuch in Straßburg wurde den NABU-Aktiven einmal mehr deutlich, wie groß die Bedeutung der Europäischen Union für die Artenvielfalt in Baden-Württemberg ist. Darüber hinaus nahmen sie zahlreiche Impulse für ihre eigene Arbeit mit nach Baden-Württemberg.