Naturverträgliche Landwirtschaft
Eine naturverträglich bewirtschaftete Agrarlandschaft trägt zur Artenvielfalt bei. Einer der NABU-Schwerpunkte ist deshalb die „Naturverträgliche Landwirtschaft“. Mehr →
24. März 2022 – Wo leben noch Rebhühner im Südwesten? Mit Klangattrappen sind Freiwillige zurzeit landauf, landab unterwegs, um balzende Rebhähne zur Antwort zu animieren. Erkannt, geortet, notiert – so wächst zurzeit eine Landkarte des vom Aussterben bedrohten Feldvogels. Schon jetzt ist klar: Die Lücken sind riesig, in vielen Gebieten sind die Hühnervögel längst verschwunden, auch dort, wo sie einst sehr häufig waren. Sie teilen dieses traurige Schicksal mit Arten wie dem Kiebitz, der Grauammer oder dem Braunkehlchen. Ihnen ist gemein, dass sie ihre Nester nicht in Bäumen oder Hecken, sondern inmitten der Agrarlandschaft auf dem blanken Boden anlegen. Ihre Lage ist so dramatisch, dass Naturschützerinnen und Naturschützer jetzt Alarm schlagen. In einer breiten Allianz für die Bodenbrüter fordert der NABU gemeinsam mit dem Landesjagdverband (LJV), dem Landkreistag Baden-Württemberg und der Ornithologischen Gesellschaft (OGBW) die Landesregierung zum Handeln auf. In einem Eckpunktepapier beschreiben die vier Verbände die schwierige Situation der bodenbrütenden Agrarvögel sowie Maßnahmen und Kosten für ihren Schutz.
Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen
„Feld- und Wiesenbrüter zählen zu den am stärksten gefährdeten Vogelarten in Baden-Württemberg. Mit unseren Forderungen knüpfen wir an das im grün-schwarzen Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode angekündigte Bodenbrüterprogramm an. Es muss nun schnellstens auf den Weg gebracht werden, bevor die Restpopulationen dieser Rote Liste-Arten vollends verschwunden sind. Für die Umsetzung des Programms wird das Land jährlich rund sechs Millionen Euro in den Haushalt einstellen müssen“, sagt der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle.
Dramatische Verluste: 92 Prozent weniger Kiebitze in 25 Jahren
Zahlen zum Rückgang der Vogelarten hat die OGBW: „Die Population der Rebhühner und Braunkehlchen ist vielerorts so stark eingebrochen, dass die Arten regional bereits verschwunden sind. Besonders prekär ist die Lage beim Kiebitz: Die Bestände des sympathischen Charaktervogels mit der kecken Federholle sind zwischen 1995 und 2020 – in nur 25 Jahren – um 92 Prozent eingebrochen. Damit ist der Wiesenvogel in Baden-Württemberg akut vom Aussterben bedroht.“ Selbst noch häufigere Arten wie die Feldlerche verzeichneten in diesem Zeitraum Verluste von mehr als 70 Prozent. „Die Gründe für den Abwärtstrend sind vielfältig“, sagt der Vorsitzende der OGBW, Jost Einstein. „Im Wesentlichen lassen sie sich auf den Trend zu immer größeren Wiesen- und Ackerschlägen und deren immer intensivere Bewirtschaftung zurückführen. Auch der Verlust geeigneter Lebensräume durch Bebauung ist ein Problem“, berichtet der Ornithologe. Der dramatische Rückgang mache auch vor den EU-Vogelschutzgebieten nicht halt. Es bestehe daher auch rechtlich dringender Handlungsbedarf: „Arten wie Kiebitz oder Rebhuhn sind nach EU-Recht streng geschützt. Sollten ihre Bestände in Baden-Württemberg tatsächlich erlöschen, könnte das ein Beschwerdeverfahren bei der EU-Kommission mit täglichen hohen Strafzahlungen nach Brüssel zur Folge haben.“
Ermutigende Projekte zeigen: Trendumkehr ist möglich
So bedrückend die Verluste bei den Bodenbrütern sind, so ermutigend sind laufende Vogelschutzprojekte, etwa zum Schutz von Rebhühnern und Kiebitzen im Landkreis Tübingen: „Das von PLENUM im Landkreis Tübingen geförderte Rebhuhn-Projekt des NABU zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass eine Trendumkehr möglich ist. Seit dem Start in 2017 hat sich die Zahl der Reviere auf rund 50 verdoppelt. Wir wissen, wie es geht, welche Maßnahmen wirken und wie sie umzusetzen sind. Was aber noch fehlt, sind ausreichende Ressourcen, um solche Erfolge auch wirklich in die Fläche zu bringen“, berichtet der Tübinger Landrat und Präsident des baden-württembergischen Landkreistages, Joachim Walter. Eine zentrale Rolle spielen für Walter dabei die Landschaftserhaltungsverbände (LEVs) sowie Expertinnen und Experten vor Ort: „Die LEVs in den Landratsämtern vermitteln als Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Sie stehen mit allen Akteuren im Dialog. Wenn sie zusätzlich von Ornithologinnen und Ornithologen vor Ort fachlich beraten und unterstützt werden, können die oftmals anspruchsvollen Projekte erfolgreich umgesetzt werden.“ Es gehe mit dem angekündigten Bodenbrüterprogramm darum, jetzt die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Erfolge solcher Projekte verstetigt werden können. „Wir brauchen dauerhaft funktionierende Strukturen, um die Artenvielfalt zu retten. Immer nur auf das nächste Feuerlöscher-Projekt zu setzen, ist nicht nachhaltig, das haben die letzten zwei Jahrzehnte im Feldvogelschutz gezeigt. Am Ende kostet diese Projektitis die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mehr Geld, als entschlossenes und koordiniertes Handeln“, warnt Walter.
Agrarumweltprogramme: Attraktive und wirksame Maßnahmen essentiell
Ein besonderes Augenmerk legt der LJV-Vorsitzende und Landesjägermeister Dr. Jörg Friedmann auf die Agrarumweltprogramme, die in Baden-Württemberg derzeit überarbeitet werden: „Die Rettung dieser Arten in unserer Agrarlandschaft gelingt nur gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern. Die Förderprogramme müssen daher für die Landwirtinnen und Landwirte so attraktiv sein, dass sie auch mitmachen.“ Allerdings dürfe man erwarten, dass die staatlich geförderten Maßnahmen dann auch wirklich dem Schutz von Feldvögeln dienen. „Die derzeit vom Land geförderten einjährigen Blühbrachen sind leider kontraproduktiv. Sowohl für Insekten als auch für Rebhühner und Feldhasen entsteht ein Fallen-Effekt, wenn die Flächen zur Zeit der Überwinterung plötzlich heruntergemulcht werden. Dann fehlt den Tieren jegliche Deckung und Nahrung.“ Staatlich geförderte Blühbrachen sollten daher ausschließlich mehrjährig sein, fordert Friedmann. „Nicht nur Bodenbrüter wie das Rebhuhn oder die Grauammer, auch Feldhasen sowie die Wintergäste unter den Zugvögeln profitieren von den Maßnahmen.“ Ein Programm zum Schutz der stark bedrohten Bodenbrüter sei daher ein Beitrag zur Förderung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft insgesamt.
Es geht um mehr als ein paar niedliche Vogelarten
Aus wissenschaftlicher Sicht fasst Naturschutzbiologe Jost Einstein von der OGBW zusammen: „Bodenbrüter wie Rebhuhn, Kiebitz oder Grauammer sind gute Indikatoren zur Bewertung des Zustands der biologischen Vielfalt in unserer Agrarlandschaft. Geht es ihnen gut, geht es auch anderen Arten gut. Beim angekündigten Bodenbrüterprogramm der grün-schwarzen Regierungskoalition geht es also um mehr als ein paar niedliche Vogelarten.“
Was sind Bodenbrüter und welche Arten leben in Baden-Württemberg?
Als Bodenbrüter bezeichnet man alle Vogelarten, die im Gegensatz zu den Baum- und Heckenbrütern ihre Nester am Boden bauen oder Bodenvertiefungen zur Eiablage nutzen. Die Eier von Bodenbrütern weisen häufig eine Tarnfärbung auf. In Baden-Württemberg vorkommenden Bodenbrüter sind z. B. Rebhuhn, Kiebitz, Großer Brachvogel, Bekassine, Wiesenpieper, Grauammer, Braunkehlchen, Haubenlerche und Feldlerche.
Mehr zum PLENUM-geförderten Rebhuhn-Projekt im Landkreis Tübingen: www.NABU-Vogelschutzzentrum.de/projekte-partner/plenum-projekt-rebhuhn/
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