Mehr als 265 Vogel- und über 70 Schmetterlingsarten kann man bei einem Spaziergang am Federsees entdecken.
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Klimawandel trifft geschwächtes Flusssystem
Hochwasserfolgen für die heimische Tierwelt





Hochwasser - Foto: NABU/Klemens Karkow
Jahrhunderthochwasser – schon wieder und sicher nicht das letzte Mal in Baden-Württemberg. Weil der Klimawandel auf ein krankes, kanalisiertes Flusssystem sowie vielerorts verdichtete und versiegelte Böden trifft, kann das Wasser nicht schnell genug versickern beziehungsweise abfließen, und tritt über die Ufer. Mit teils schlimmen Folgen. Kleine Bäche werden zu reißenden Sturzfluten. Nicht nur Menschenleben und unsere Siedlungen sind stark betroffen, sondern auch die Natur.
Zahlreiche Vogelarten verlieren ihren Nachwuchs
Hochwasser gehören eigentlich zum natürlichen Lebensraum Fluss und viele Tier- und Pflanzenarten sind an regelmäßige Überflutungen angepasst. Haben die Fließgewässer ausreichend Fläche, damit eine Dynamik entstehen kann, ist viel Regen weniger ein Problem. Doch viele Flüsse und Bäche führen ihr Wasser, eingedeicht und begradigt, sehr schnell ab. Weil sie ihrer Nebenarme, Gewässerränder und Auen beraubt wurden, können sie Wasser nicht so großflächig verteilen und speichern, wie es bei Starkregen nötig wäre. Die Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet Baden-Württemberg, seine Gewässer bis 2027 in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Aktuell erreichen aber nur 5,7 Prozent der Bäche und Flüsse im Land das Ziel.
An den Bächen und Flüssen und auf den danebenliegenden Flächen sind zahlreiche Vogelarten, wie Zaunkönig, Grasmücke, Wasseramsel oder Zilpzalp, zu Hause. Da sie an den Ufern oder bodennah brüten und leben, gehören sie zu den Opfern der Fluten. Auch der Eisvogel ist betroffen, der in Höhlen an steilen Uferkanten sein Nest baut. Doch zugleich profitiert er langfristig, weil durch das Hochwasser neue Steilwände entstehen. Hat sich sein Lebensraum verbessert, kann er den Verlust wieder ausgleichen und neue Bruthöhlen anlegen.
Viele Singvögel waren 2024 früh dran mit dem Brutgeschäft. Bereits ausgeflogene Jungvögel konnten zwar vor den Fluten fliehen, der NABU rechnet aber mit einer höheren Sterblichkeit, weil die Tiere durchnässen und nicht gut auf Nahrungssuche gehen können. Höhlenbrüter wie Kohlmeise, Blaumeise und Star tragen Feuchtigkeit ins Nest, sodass Bruten auskühlen können.
Betroffen vom Hochwasser sind auch Säugetiere, wie Biber, Maulwurf, Haselmaus und Igel, sowie viele Insekten, wie Hummeln und Wildbienen. Manche Tiere können nicht oder nicht rechtzeitig fliehen, weil sie im Boden oder bodennah leben, und ertrinken. Junge Hasen oder Wildschweine unterkühlen leicht bei Dauerregen. Erwachsene Rehe, Wildschweine und Rotfüchse sind an Hochwasser gewöhnt und ziehen sich, wenn möglich, an sichere Orte zurück. Sie brauchen dafür vernetzte Biotope. So können Flächen auch nach dem Hochwasser wieder neu besiedelt werden. Für Amphibien und Reptilien, die in naturnahen Überschwemmungsbereichen leben, sind solche Ereignisse kein Problem. Durch Hochwasser entstehen zugleich neue Lebensräume, in denen sich zum Beispiel Amphibienpopulation erholen können. Altholz im Wald oder an Feldhecken kann bei Hochwasser kleinen Tieren als „Rettungsinseln“ dienen. Wo Strukturen in und an Bächen und Flüssen fehlen, können Tiere aber abdriften und ertrinken.
Auswirkungen an Federsee und Bodensee
Viele Wasservögel hatten bereits ihre Nester im Schilfgürtel des Bodensees gebaut, als der Pfingstregen kam. „Weil der See übers Wochenende durch die starken Regenfälle um gewaltige 50 Zentimeter angestiegen ist, haben viele dort brütende Arten, wie Rohrweihe, Blesshuhn und Haubentaucher, ihre Nester und Bruten verloren. Letztere können tiefer im Schilf ein neues Nest bauen und sind dort besser geschützt, sofern kein neues Hochwasser folgt“, erklärt Ornithologin Lisa Maier. Für viele andere Vogelarten, wie Bartmeise, Rohrweihe und Rohrschwirl, fällt die Brut für dieses Jahr aber vollkommen ins Wasser. Das Hochwasser hat aber auch positive Effekte: Der hohe Wasserbestand schafft mehr Rückzugsflächen im Schilf für Arten wie die Kolbenente, die darin geschützt ihren Gefiederwechsel vollziehen kann.
Am Federsee ist das in ganz Deutschland stark gefährdete Braunkehlchen heimisch und hat dort seinen Brut-Schwerpunkt im Land. „Der Bruterfolg ist dieses Jahr vermutlich sehr gering, weil viele Nester in den Riedwiesen überschwemmt wurden und die Jungen noch nicht flügge waren. Für den Fortbestand der Art in Baden-Württemberg ist das dramatisch. Vor allem, da es beispielsweise auch 2016 und 2021 durch Starkregen mit Überschwemmungen zu hohen Verlusten von Nestern mit Jungvögeln kam.“, sagt Katrin Fritzsch.
Starkregen lässt viele Jungstörche sterben
Der sinnflutartige, tagelange Starkregen in Teilen Baden-Württembergs hat viele Wiesenbrüter, Störche und Greifvögel nasskalt erwischt. Sehr viele tote Jungstörche haben etwa die NABU-Storchenbetreuerinnen und -betreuer in Nordbaden zu beklagen: „Zwischen Baden-Baden und Karlsruhe haben etwa 60 bis 70 Prozent der rund 80 Storchenpaare ihren Nachwuchs verloren. Die drei bis vier Wochen alten Jungstörche waren zu groß, um von ihren Eltern vor dem Dauerregen geschützt zu werden. Ihnen fehlen Deckfedern, die Daunen saugen sich voll und die Tiere sterben an Unterkühlung. Teils hat nur ein Junges überlebt“, erklärt Stefan Eisenbarth. Dabei ist der Klimawandel dieses Jahr ein doppeltes Problem für die Störche: Starkregen schlägt öfter und heftiger zu. Weil die Störche in milden Wintern im Südwesten bleiben, beginnen sie früher zu brüten sodass die Jungstörche schon recht groß und schutzlos im Nest sitzen. Auch 2013 war ein schlechtes Storchenjahr mit vielen toten Jungvögeln. Störche machen keine zweite Brut, sondern bauen nach einem Verlust häufig ein neues Nest fürs nächste Jahr. „Aktuell haben wir eine stabile Storchenpopulation im Land. Doch der zunehmende Klimawandel könnte das Blatt wenden, wenn solche Starkregen mit kühlen Tagen im Frühjahr häufiger auftreten.“
Tieren bei Hochwasser helfen
Vielen Wildtieren können wir während eines Hochwassers helfen, indem wir sie in Ruhe lassen. So brauchen etwa Rehe, Wildschweine und Füchse Ausweichmöglichkeiten und Zufluchtsorte. Hochwassertourismus in betroffenen Gebieten beunruhigt bereits fliehende Tiere und erzeugt erneute Fluchtbewegungen, meist zurück ins Wasser. Diese enden oft tödlich. Eine Ruhe- und Erholungszeit sollte den Wildtieren auch nach einem Hochwasserereignis gegönnt werden. Im akuten Fall gilt es, Wildtieren zu helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Wer Tiere in Notlagen entdeckt, sollte die Tiernotrettung oder die Feuerwehr verständigen. Auch im NABU-Vogelschutzzentrum in Mössingen wurden viele gefiederte Flutopfer abgegeben.
Notwendige Maßnahmen: Mehr Klima- und Naturschutz
Baden-Württemberg hat zwar für den Hochwasserschutz in den vergangenen Jahren viel getan, beim Klimaschutz hinkt das Land aber seinen Zielen hinterher und die Revitalisierung der Flüsse steckt in vielen Regionen noch am Anfang. „Weil Starkregenereignisse, aber auch Hitze und Trockenheit, durch den Klimawandel zunehmen, brauchen wir mehr wirksamen Klimaschutz und ein Gesundungsprogramm für die Natur im Land. Werden Flächen in großem Stil entsiegelt, Wald- und landwirtschaftliche Böden schonender bearbeitet und Bach- und Flussläufe revitalisiert, können sie Regen besser speichern und verteilen. Je enger das Korsett für unsere Natur ist, desto weniger kann sie uns Menschen in der Klimakrise schützen“, betont der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle.