Insektensterben
Alle Studien zum Thema Insektensterben belegen: Das Insektensterben ist Realität und schreitet unaufhaltsam voran. Mehr →
6. November 2019 – Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ fordert einen Pestizidverzicht auf der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Ziel ist, für Wild- und Honigbienen, Schmetterlinge und Käfer sowie weitere Insekten gefährliche Gifte von Äckern und Wiesen zu verbannen. Auch in Gärten, auf Bahngleisen oder entlang von Wegen und Gewässern haben sie nichts verloren. Das Eckpunktepapier, das auf Basis des Gesetzesentwurfs zum Volksbegehren „Rettet die Bienen“ von den beiden Ministerien UM und LMR Mitte Oktober vorgelegt wurde, fordert nun eine Reduzierung der Menge und nicht mehr der Fläche um 50 Prozent. Im Papier steht dazu: „Der Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel wird bis 2030 um 40 % bis 50 % in der Menge reduziert“.
Frau Holmgeirsson, wenn ich als Landwirtin oder Landwirt keine Bienen gefährdenden Stoffe ausbringen will, worauf muss ich achten?
Oberste Priorität sollte die Prüfung der Schadschwelle haben, um zu sehen, ob ein ernster, Befall mit „Schadinsekten“ vorliegt, damit nicht unnötig behandelt wird. Das entspricht der „Guten fachlichen Praxis“ und dem Integrierten Pflanzenschutz (IPS), was teilweise leider missachtet wird. Wichtig ist, auf die Bienenklassifizierung zu achten. Verwendet werden sollten möglichst nur Mittel, die mit B4 als bienenungefährlich eingestuft sind. Aber auch sie geben keine Garantie, dass dadurch nicht doch langfristige Schäden bei den Bestäuberinsekten auftreten. Auf die Spritzung am Tage in offene Blüten oder bei Windgeschwindigkeiten über 5 m/Sek. muss unbedingt verzichten werden. Bei Tankmischungen können sich giftige Wirkungen potenzieren. Daher sollten nur die einzelnen Mittel nach Vorschrift ausgebracht werden. Es kann einiges getan werden, damit von Anfang an weniger Pestizide nötig sind. Dazu gehören der Humusaufbau, die Fruchtfolge, bestimmte Beikräuter, der Nützlingseinsatz, Blühstreifen und mehr.
Wenn „bienenfreundlich“ draufsteht, ist dann auch immer „bienenfreundlich“ drin?
Leider nein! Die Bienenungefährlichkeit und Klassifizierung wird an den noch relativ robusten Honigbienen getestet und gemessen. Doch auch auf sie wirken Pestizide negativ, Neonicotinoide stören nachweislich das Immun- und Nervensystem der Honigbiene. Wie geht es da erst deutlich kleineren und empfindlicheren Bestäuberinsekten wie der Gold-Furchenbiene?
Im Hausgarten wird gern das Insektizid Spruzid empfohlen, mit dem Aufdruck „bienenfreundlich“. Der Wirkstoff ist ein Chrysanthemen-Extrakt, deshalb wird das Mittel auch als „Bio“ vertrieben. Aber auf der Anwendungsanleitung wird unter NN 410 drauf hingewiesen, dass das Mittel zum Schutz von Wildbienen nur in den Abendstunden angewandt werden soll und schädigend auf Bestäuberinsekten wirkt. Logisch, ist ja ein Insektizid!
Viele als „bienenfreundlich“ empfohlenen Zierpflanzen, die etwa in Baumärkten und Gartencentern verkauft werden, wurden zum Schutz gegen Schädlinge mit Insektiziden behandelt. Sie können sogar unsere heimischen Honig- und Wildbienen schädigen.
Neonicotinoide gehören zu den gefährlichsten Stoffen für Insekten, da sie selbst in niedriger Dosis hochwirksam sind. Drei Neonics wurden von der EU verboten, weil sie Bienen nachweislich schädigen. Gibt es weitere, die noch zugelassen sind?
Acetamiprid und Thiacloprid sind weiter zugelassen und werden versprüht. Thiacloprid wurde aus der Anwendung in Hausgärten herausgenommen. Mit dem NABU-Pestizidbericht hat der NABU ermittelt, das Thiacloprid das zweithäufigste in Baden-Württemberg eingesetzte Insektizid ist. Aus unserer Sicht gehört es sofort verboten. Von den drei verbotenen Neonics Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid ist letzterer weiterhin für die Anwendung in Gewächshäusern im Gemüse- und Zierpflanzenbau zugelassen!
Für die verbotenen Neonics, die vor allem als Saatgutbeize genutzt wurden, ist jetzt ein hochwirksamer, noch giftigerer Ersatz auf dem Markt, mit dem Wirkstoff Cyantraniliprol. Ganz neu sind die Insektizide Flupyradifurone und Suloxaflor. Auch hier erfolgten die Tests zur Zulassung nur an Honigbienen und zeigen bereits in weiteren Studien langfristige Folgeschäden bei der Bienenbrut. Es ist anzunehmen, dass auch die Wildbienenarten durch diese Wirkstoffe geschädigt werden.
Warum fällt es der Landwirtschaft so schwer, auf Pestizide zu verzichten, die für Insekten schädlich sind?
Jeder landwirtschaftliche Betrieb muss erfolgreich wirtschaften, will seinen Ertrag steigern und investieren. Manche Insekten können die Ernte erheblich schädigen, z.B. die Kirschessigfliege, oder es kommt sogar zu Ernteausfällen. Doch die eingesetzten Mittel selektieren nicht, ob sie beispielsweise auf einen unerwünschten Kornkäfer oder einen nützlichen Marienkäfer wirken. Daher fordert das Eckpunktepapier ein Verbot für alle Mittel in Naturschutzgebieten. In den anderen Schutzgebieten (LSG, Biosphärengebiet, Natura 2000, gesetzlich geschützte Biotope, Wasserschutzgebiete und Naturdenkmäler) wird lediglich die Reduzierung der Pflanzenschutzmittel – welche um 40 bis 50 Prozent bis zum Jahr 2030 gefordert wird – umgesetzt. Dies aber prioritär.
Pflanzenschutzmittel, die die Artenvielfalt nicht nachweislich gefährden, sollen weiterhin eingesetzt werden dürfen. Diese Ausnahmen können im Einzelfall die Landkreise und im Generellen (für die jeweiligen Schutzgebiete) die Regierungspräsidien erlassen. Positivlisten geeigneter Mittel sind dabei ein praktikabler Weg, um unnötige Bürokratie zu vermeiden.
Einige vor allem junge Landwirtinnen und Landwirte sind bereit für einen ökologischen Wandel und haben schon ihren Pestizideinsatz reduziert oder ganz eingestellt. Sie liefern damit positive Ansätze zum Umsteuern und können Vorbild für andere sein.
Welche Alternativen gibt es für Landwirtinnen und Landwirte, die auf Pestizide verzichten wollen?
Es gibt vor allem verschiedene Anbaumethoden, z.B. zur Bodenverbesserung, Fruchtfolgen oder Pflanzenkombinationen zur Reduzierung von Schädlingen, verschiedene mechanische Methoden zur Unkrautbekämpfung oder Untersaat zur Verhinderung von Bodenerosion. Es sind Maschinen und Roboter in der Entwicklung, die digital gesteuert viel präziser arbeiten und Mittel ausbringen können. Da tut sich viel im Landmaschinenbereich. Doch dürfen technische Neuerungen nicht einseitig auf Kosten der Natur gehen, sondern müssen sich positiv auf den Schutz von Boden, Gewässer, Luft und Biodiversität auswirken.
Im Obstbau werden besonders viele Spritzmittel verwendet gegen allerhand unerwünschte Insekten wie Milben, Läuse, Fliegen, Wespen und mehr. Besteht hier die Gefahr, dass nach dem Motto „viel hilft viel“ übermäßig gespritzt wird?
Leider ja. Ein Bericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums (Freier et al. 2014, Modellvorhaben „Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz“) belegt, dass Betriebe ohne Probleme 20 Prozent weniger spritzen könnten, wenn sie z.B. das Schadschwellenprinzip konsequent beachten. Hier sollten Landwirtinnen und Landwirte noch umfassender zum Integrierten Pflanzenschutz beraten werden. Im Eckpunktepapier wird hier der Ausbau der Pflanzenschutzberatung gefordert, welche den integrierten Pflanzenschutz als großes Thema haben wird.
Grundsätzlich liegen zwar die Pestizidrückstände im Obst in aller Regel unter den gesetzlichen Grenzwerten. Doch Landwirte könnten sicher deutlich weniger spritzen, wenn ein tadelloses Aussehen von Obst und Gemüse an der Ladentheke nicht so wichtig wäre. Hier brauchen wir ein Umdenken im Einzelhandel und beim Verbraucher.
Bei Obst ist Abdrift ein großes Problem, denn man spritzt ja in Bäume oder Sträucher. Selbst bei geringem Wind passiert es je nach Düseneinstellung häufig, dass Pestizide auch auf den Nachbarfeldern verteilt werden. Besonders betroffen davon sind angrenzende Bio-Landwirte, die ihre Produkte dann nicht als Bio verkaufen dürfen. Ein Beleg für das Abdrift-Problem zeigt sich am Bodensee: Hier wurde eine Artenverarmung in den Bodenseezuflüssen von kleinen Gewässerorganismen festgestellt. Dies geht klar auf die Karte der intensiven Obstplantagen dort. Übrigens werden Pestizide auch durch die Luft transportiert, wie neue Studien des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft belegen. Selbst Stoffe wie DDT oder Lindan, die ja schon lange bei uns verboten sind, oder Glyphosat, werden durch die Luft ungehindert weitertransportiert. Davon sind natürlich auch Schutzgebiete betroffen.
Auch im Bioanbau darf gespritzt werden, um unerwünschte Insekten oder Pilze loszuwerden. Dürfen Schwefel, Kupfer, Kaliseife oder Rapsöl auch nach erfolgreichem Volksbegehren eingesetzt werden?
Der Einsatz sollte weiterhin möglich sein, denn diese Mittel sind im Bioanbau erprobt und ungefährlich. Dagegen ist Kupfer kritisch zu sehen, denn es reichert sich im Boden an und schädigt dort die Mikroorganismen. Deshalb wird die weitere Zulassung schwieriger werden.
Stattdessen sollten wir die natürlichen Abwehrmechanismen der Pflanzen wieder viel mehr in den Fokus nehmen. Dazu muss mehr über sie geforscht und gelehrt werden. Einiges lässt sich über Sortenzüchtung erreichen. Viele alte Obstsorten sind in Vergessenheit geraten, die oft robuster sind gegenüber Schädlingen. Auch im Weinbau gibt es alte und neu gezüchtete, resistente Rebsorten, die einen Pestizidverzicht erleichtern. Da gibt es noch viele ungenutzte Möglichkeiten.
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