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Mehr ...Auffällige Wölfe und der Umgang mit ihnen
Interview mit Artenschutzreferentin Felicitas Rechtenwald
„Wölfe, die sich ungewöhnlich verhalten, können schon jetzt nach sorgfältiger Einzelfallentscheidung aus der Natur entnommen werden“, sagt Felicitas Rechtenwald, Artenschutzreferentin beim NABU Baden-Württemberg. Der NABU setzt sich seit Jahren dafür ein, dass der Wolf als großer Beutegreifer seinen Platz in der Natur wieder einnehmen darf, auch im Südwesten. Dass dies nicht nur auf Zustimmung stößt, ist verständlich, denn der Wolf weckt Ängste vor dem „bösen Wolf“. Seit drei Jahren wandern zunehmend Jungwölfe auf Reviersuche durch Baden-Württemberg – kürzlich wurde ein Wolf vor den Toren Stuttgarts gesichtet. Welche Gefahr geht wirklich vom Wolf aus und welche Herausforderungen tauchen mit seiner Rückkehr auf? Darauf gibt die NABU-Artenschutzreferentin Antworten.
Wie viele Wölfe leben zurzeit in Baden-Württemberg und direkt an der Landesgrenze?
Da nur wenige Wölfe im Rahmen von Forschungsprojekten Sender tragen, können wir hier nur Vermutungen anstellen. Im Januar 2018 wurde bei Ludwigsburg ein Wolf gesichtet, außerdem gab es den Riss einer Ziege in Sersheim bei Vaihingen/Enz Mitte Januar. Für diesen Riss konnte nun ein Wolf aus der alpinen Population bestätigt werden. Seit Oktober ist zwischen Heilbronn und Rastatt zusätzlich ein Wolf aus Niedersachsen unterwegs. Zurzeit gehen wir deshalb von ein bis zwei Tieren aus, die sich vielleicht noch bei uns aufhalten.
Wann ist ein Wolf verhaltensauffällig?
Das Bundesamt für Naturschutz hat definiert, wann Wölfe verhaltensauffällig sind und wie mit ihnen umgegangen werden sollte. Außerdem hat es ein umfangreiches Fachkonzept „Leben mit Wölfen“ herausgegeben. In Baden-Württemberg hat das Landwirtschaftsministerium gemeinsam mit dem NABU und weiteren Verbänden einen Handlungsleitfaden zum Umgang mit einzelnen durchziehenden Wölfen erstellt. Darin wird festgestellt, dass es in einem so dicht besiedelten Raum wie dem Südwesten Deutschlands ganz normal ist, dass sich Wölfe auf ihren Streifzügen auch tagsüber Siedlungen nähern. Dass Wölfe hauptsächlich Fleischfresser sind und das Töten von Wild- wie Haustieren keine Form der Aggression, sondern schlichter Nahrungserwerb ist, stellt auch der Leitfaden fest. Schwierig wird es, wenn ein Wolf sich auf Nutztiere als „leichte“ Beute spezialisiert. Oder wenn er durch Menschen angefüttert wurde und sich so an ihre Nähe gewöhnt und möglicherweise sogar aufdringlich wird. Auch ein Wolf, der sich mehrfach Menschen mit Hunden nähert und dabei aggressiv auf den Hund reagiert, ist problematisch.
Wie geht das Land bisher mit verhaltensauffälligen Wölfen um?
Die Sicherheit des Menschen hat oberste Priorität. Deshalb gibt es stets zwei mögliche Reaktionen. Neugierige Wölfe, die sich Menschen nähern – manchmal angezogen von deren Hunden –, werden frühzeitig mit einem Peilsender ausgestattet und mit Gummigeschossen und Lärm vergrämt. Hilft dies nicht oder zeigt sich ein Wolf aggressiv gegenüber Hunden oder reißt er trotz ausreichendem Schutz immer wieder Nutztiere, so wird er entnommen, also erschossen. Bisher haben sich Wölfe im Land aber „normal“ verhalten. Dies schließt auch das Reißen von einzelnen Nutztieren, die nicht ausreichend geschützt waren, mit ein. In Sachen Herdenschutz besteht also nach wie vor dringender Informations- und Handlungsbedarf.
Die Halterinnen und Halter von Herdentieren wie Ziegen und Schafen aber auch Pferden machen sich große Sorgen. Zu Recht?
Probleme tauchen immer dann auf, wenn Tiere nicht ausreichend, zum Beispiel durch einen wolfsicheren Elektrozaun mit hoher Spannung, geschützt sind. Das bedeutet: bodennahe, stromführende Litze, 90 Zentimeter, besser wären 105 bis 120 Zentimeter; komplett umzäunte Koppel, auch Wassergräben zählen dazu. Zusätzlich lassen sich gut ausgebildete Herdenschutzhunde in die Herden integrieren. Hier gibt es aber bürokratische Hürden und nicht zu jedem Betrieb passt ein Herdenschutzhund. Gefährdet sind auch Kälbchen oder Fohlen, die sich außerhalb der Koppel aufhalten und somit nicht unter dem Schutz der Herde stehen. Innerhalb der Herde sind Angriffe sehr unwahrscheinlich. Was in Sachen Herdenschutz möglich ist, wird ab Frühjahr 2018 im Rahmen eines zweiten gemeinsamen Projektes von Landesschafzuchtverband und NABU zum Herdenschutz für Baden-Württemberg erforscht und erprobt. Im Fall eines Nutztierrisses entschädigt der „Ausgleichsfonds Wolf“ die betroffenen Tierhalter/-innen. Dieser Fonds wird von verschiedenen Verbänden mitfinanziert und derzeit vom NABU verwaltet.
Immer wieder wird gefordert, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Warum reichen die bisherigen Maßnahmen aus, die das Bundesnaturschutzgesetz bietet?
Wölfe, die sich auffällig verhalten, können bereits jetzt – trotz ihres national und international hohen Schutzstatus – entnommen werden. Die Aufnahme ins Jagdrecht macht die Dinge eher komplizierter als einfacher. Dadurch käme es zur Doppelzuständigkeit von Naturschutz- und Jagdbehörde und zu unnötigen zeitlichen Verzögerungen, etwa wenn eine Entscheidung über den Abschuss eines Wolfes gefällt werden muss. Aktuell gibt es ohnehin noch zu wenige Wölfe in Deutschland, als dass die Art gesichert wäre. Aktuell leben rund 600 Wölfe in Deutschland, davon 160 erwachsene Tiere.
Können Wölfe großen und kleinen Menschen gefährlich werden?
Für Erwachsene und auch für Kinder geht von einem gesunden, sich normal verhaltenden wilden Wolf keine Gefahr aus. Der Wolf geht dem Menschen aus dem Weg, wo dies möglich ist. Doch der Südwesten ist mit mehr als 300 Einwohnern bzw. Einwohnerinnen je Quadratkilometer recht dicht besiedelt. Ein Wolfsrevier umfasst im Durchschnitt 200 bis 250 Quadratkilometer. Da bleibt es nicht aus, dass Wölfe auch tagsüber in Ortsnähe gesehen werden oder nachts durch Ortschaften streifen. Gerade wenn es sich um junge Wölfe handelt, die auf der Suche nach neuen Revieren zig Kilometer zurücklegen und auf Grund ihrer Jugend neugierig sind. Per se stellen sie dabei keine Gefahr für den Menschen dar. Außerdem gibt es in unseren Wäldern und auf unserer Flur genug natürliche Nahrung wie Rehe, Hirsche und Wildschweine. Wichtig ist, Wölfe – wie alle Wildtiere – nicht anzufüttern oder an menschliche Futterquellen wie offene Biotonnen oder Fleischabfälle zu gewöhnen. Sonst verlieren die Tiere ihre natürliche Scheu, werden aufdringlich und möglicherweise auch gefährlich. Eine Gefahr könnte auch von tollwütigen Wölfen ausgehen. Doch diese Virusinfektion ist in ganz Deutschland und in den Grenzgebieten – mit Ausnahme von Polen – seit dem Jahr 2008 ausgerottet.
In Griechenland wurde Ende September eine Britin beim Wandern vermeintlich von Wölfen getötet. Was ist denn wirklich passiert?
Die DNA-Spuren an den Überresten der Frau werden derzeit noch untersucht. Fest steht aber: In der betreffenden nordgriechischen Region wurde regelmäßig ein großes Rudel wildernder Hunde beobachtet und es gibt viele Beschwerden über streunende, aggressive Hunde, die seit 2014 insgesamt rund 850 Mal zugebissen haben sollen.
Muss der Handlungsleitfaden zum Wolf angesichts der Präsenz von Einzelwölfen jetzt fortgeschrieben werden?
Die zweite Stufe des Handlungsleitfadens wird aktuell erarbeitet, so dass das Land Baden-Württemberg auf die ersten sich niederlassenden Wölfe vorbereitet ist. Ein Schwerpunkt des neuen Leitfadens werden Präventionsmaßnahmen sein.