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Mehr ...Der Wolf – ein Wildtier zwischen Faszination und Furcht
Interview mit NABU-Artenschutzreferentin Felicitas Rechtenwald
Wölfe sind faszinierende Tiere, die aber auch Ängste wecken können. Felicitas Rechtenwald ist Biologin und als Artenschutzreferentin des NABU Baden-Württemberg die Expertin zu Fragen rund um den Wolf. In einem Interview erläutert sie, wie gefährlich Wölfe sind, wie gut Baden-Württemberg auf die Rückkehr vorbereitet ist und was jede und jeder einzelne tun kann, wenn er oder sie einem Wolf begegnet.
Frau Rechtenwald, wo kommen die Wölfe her, die seit einigen Jahren durch Baden-Württemberg streifen, und warum kommen sie gerade jetzt zu uns?
Der Wolf ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus Deutschland verschwunden gewesen. Es wanderten zwar immer wieder vereinzelte Tiere aus Polen in die ehemalige DDR ein, diese wurden aber recht bald erschossen. Erst seit 1990 steht der Wolf in ganz Deutschland unter Schutz. Diese Unterschutzstellung war die Voraussetzung für eine erfolgreiche Rückkehr. Das erste Wolfspaar aus Ostpolen siedelte sich im Jahr 2000 in der sächsischen Lausitz wieder an und gründete dort ein Rudel. Seitdem breiten sie sich in ganz Deutschland aus. In Baden-Württemberg gibt es bisher keine sesshaften Wölfe, jedoch immer wieder Nachweise bzw. Hinweise über einzelne, durchziehende Tiere.
Wo leben Wolfsrudel in Deutschland?
Nach aktuellen Zahlen der Beratungs- und Dokumentationsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW) leben aktuell 41 Wolfsrudel mit durchschnittlich acht Tieren sowie acht Paare und vier Einzeltiere in Deutschland, davon die meisten im Nordosten und Osten von Deutschland (Stand: 10/2017). Baden-Württemberg dient als „Brückenkopf“ und verbindet die zentraleuropäische Flachlandpopulation im Nordosten Deutschlands mit der Wolfspopulation in den Alpen. Von den bisher fünf nachgewiesenen Wölfen in BW kamen demnach drei aus der Schweiz und einer aus Niedersachsen. Bei einem Wolf konnte man die Herkunft nicht bestimmen, da keine genetischen Proben ausgewertet werden konnten. Während in den nördlichen und östlichen Bundesländern wie Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen bereits etablierte Wolfsrudel leben, sind Bundesländer wie Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg noch „Wolfserwartungsländer“. Wölfe brauchen keine Wildnis, auch keinen Wald oder Nationalpark um zu überleben. Es reicht, wenn sie genug Nahrung haben, um die Jungen zu versorgen und einen Rückzugsort, um diese zur Welt zu bringen. In Baden-Württemberg wären der Schwarzwald, die Schwäbische Alb oder auch das Donautal geeignete Gebiete.
Wann ist damit zu rechnen, dass sich ein Wolfsrudel in Baden-Württemberg ansiedelt?
Das ist schwer vorherzusagen. Eigentlich kann es jederzeit „passieren“. Seit 2015 haben wir immer wieder Sichtungen einzelner Tiere in Baden-Württemberg. Theoretisch kann sich ein neuer Durchzügler bereits nächstes Jahr ein geeignetes Gebiet suchen um dort zu leben. Dann braucht es nur noch den passenden Partner und das erste Wolfsrudel ist da.
Welche Erfahrungen machen die Menschen mit dem Wolf in den Bundesländern, in denen er schon länger zu Hause ist?
Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass die Skepsis in den Gebieten, in denen Wölfe erstmalig auftauchen, erst einmal groß ist. Diese Skepsis legt sich aber nach einigen Jahren, die Menschen gewöhnen sich an den Wolf. Manche freuen sich sogar über ihn. Es gibt auch Touristen, die extra wegen der Wölfe in bestimmte Gegenden reisen.
In anderen Ländern wie Indien, Kanada oder Rumänien gab es jedoch bereits Angriffe von Wölfen auf Kindern, wie müssen wir hier vorbeugen?
Vorbeugende Maßnahmen sind zum Beispiel ein gut vernetztes deutsches Wolfsmonitoring. Hier würde ein Tier, welches sich auffällig verhält, sehr schnell auffallen. Wenn ein Tier sich zum Beispiel immer wieder Dörfern oder einem bestimmten Bauernhof nähert, muss dieses Tier beobachtet werden und so bald wie möglich zum Beispiel durch Gummigeschosse vergrämt werden, so dass es wieder Vorsicht und Distanz gegenüber Menschen lernt. Die Sicherheit des Menschen steht immer an erster Stelle und man darf den Wolf nicht als harmloses Kuscheltier mystifizieren. Wenn tatsächlich Probleme auftreten, weil sich ein Wolf zum Beispiel nicht vergrämen lässt oder weil er immer wieder Nutztiere wie Schafe, Ziegen oder Kälber reißt, kann es auch eine Anordnung auf „Entnahme“ geben. In der Regel ist das dann der Abschuss.
In den Medien gibt es immer wieder Berichte über aggressive oder sehr zutrauliche Wölfe. Wie begründet ist die historisch gewachsene Angst vor Wölfen?
In unseren Köpfen stecken noch die alten Märchen und Schauergeschichten von Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Hinzu kommen Berichte in der Presse aus anderen Ländern. Diese werden nun 1:1 auf unsere deutschen Wölfe und die heutige Zeit übertragen. Es wird wohl noch Jahre dauern, bis das „Rotkäppchen-Syndrom“ aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist. Bisherige Erfahrungen und auch Studien aus anderen Ländern zeigen aber, dass die Angst unbegründet ist. Wölfe sind auf das Jagen von Wildtieren wie Rehen, Hirschen und Wildschweinen spezialisiert. Der Mensch gehört nicht in ihr Beutespektrum. Begegnen sich Wolf und Mensch, reagieren Wölfe mit Vorsicht und Zurückhaltung und in der Regel nicht aggressiv. Als „scheu“ würde ich Wölfe aber nicht bezeichnen, sondern eher als neugierig und zurückhaltend.
Muss ich Angst haben, im Wald alleine zu joggen oder mein Kind dort spielen zu lassen, wenn wieder Wölfe in Baden-Württemberg leben?
Diese Angst ist unbegründet. Wie bereits erwähnt, zählt der Mensch nicht zur natürlichen Beute. Auch ein Kind nicht. Ein Wolf hört und riecht den Menschen schon weit im Voraus. Bei Jungtieren kann es vorkommen, dass diese erst mal neugierig in der Nähe bleiben, um den Menschen zu beobachten. Das ist aber ein für Jungtiere normales Verhalten und kann auch bei Füchsen beobachtet werden. Wer sich unsicher fühlt, sollte sich großmachen, in die Hände klatschen, mit dem Schlüsselbund klappern und sich langsam zurückziehen.
Was passiert, wenn ein Wolf ein Schaf oder ein Rind reißt?
Bei vielen Nutztierhaltern bleibt verständlicherweise Skepsis und Angst vor einem wirtschaftlichen Schaden durch den Wolf. Wenn Wölfe lernen, dass ein Schaf oder eine Ziege viel leichter zu haben ist als ein Reh oder ein Wildschwein, dann werden sie vermehrt diese Nutztiere zu ihrer Beute machen. Jedoch zeigen die Erfahrungen aus anderen Bundesländern, dass sich Nutztiere effektiv – wenn auch nicht zu 100 Prozent – durch Zäune und Schutzhunde präventiv sichern lassen. Der NABU Baden-Württemberg setzt sich im Rahmen eines Herdenschutzprojektes gemeinsam mit dem Landesschafzuchtverband dafür ein, dass Schäferinnen und Schäfer sowie andere Nutztierhalterinnen und Nutztierhalter im Land für die Rückkehr des Wolfes gut gewappnet sind. Und im Falle eines Wolfsrisses schnell und unbürokratisch entschädigt werden. Dazu hat der NABU mit fünf weiteren Verbänden (BUND, LNV, Stiftung Euronatur, LJV, ÖJV) in einen Ausgleichsfonds eingezahlt, der aktuell mit 10.000 Euro gefüllt ist. Im Falle eines Wolfsrisses erhalten Nutztierhalterinnen und -halter daraus einen finanziellen Ausgleich.
Verhalten sich Gehegewölfe anders als wildlebende Wölfe?
Wölfe aus Gehegen können in freier Natur eine Gefahr darstellen, da sie an die Anwesenheit von Menschen und an das Füttern durch sie gewöhnt sind. Sie können sich daher den Menschen auf der Suche nach Futter neugierig nähern. Im Nationalpark Bayerischer Wald bei Lindberg sind Anfang Oktober 2017 sechs Wölfe aus einem Gehege durch ein offenes Tor entwischt. Das bayerische Umweltministerium hat 10.000 Euro Belohnung für sachdienliche Hinweise auf den Täter ausgelobt. Diese Gehegewölfe kann man nicht mit dem wild lebenden Rudel im Bayerischen Wald vergleichen, die zurückhaltend und unauffällig sind. Es ist möglich, dass sie sich dem Menschen gegenüber unnatürlich verhalten werden. Sie wurden daher zum Abschuss freigegeben.
Wie sollten sich Spaziergängerinnen und Hundebesitzer verhalten, wenn sie auf einen Wolf treffen?
Für Hundehalter gilt: Wölfe sehen den Hund als Eindringling in ihr Revier an. Allerdings meiden sie uns Menschen, und damit auch den Hund, den wir mitführen. In der Nähe seines Besitzers zu bleiben, ist für den Hund also der beste Schutz. Wenn Hundehalter im Wolfsgebiet mit ihrem Hund unterwegs sind, ist es also wichtig, den Hund in der Nähe des Menschen zu halten oder am besten – wie in vielen Bundesländern verpflichtend – an der Leine zu führen.
Wie kann ich einen Wolf von einem großen Hund unterscheiden?
Wölfe und Hunde werden häufig miteinander verwechselt, da Hunde als direkte Wolfsnachfahren viele ähnliche Merkmale aufweisen. Es gibt sogar Hunderassen, die gezüchtet wurden, um dem Wolf möglichst ähnlich zu sehen. Besondere Merkmale eines erwachsenen Wolfes sind sein heller Schnauzenbereich, seine kleinen, dreieckigen Ohren und ein dunkler Sattelfleck auf dem Rücken. Das Bauchfell ist eher hellbraun, auf dem Rücken etwas dunkler mit Schwarz durchsetzt. Darüber hinaus hängt der Schwanz fast immer herunter und hat eine dunkle Spitze. Wölfe haben eine auffällige Mähne im Winterfell, erscheinen im Sommerfell sehr hochbeinig und mager.
Wie oft passiert es überhaupt, dass Wölfe angreifen und was sind die Ursachen dafür?
Seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland im Jahre 2000 hat es keine Situation gegeben, in der sich ein Wolf einem Menschen gegenüber aggressiv verhalten hat. 2002 wurde eine Studie in Auftrag gegeben, die eine Einschätzung des Gefahrenpotentials von Wölfen gegenüber Menschen einschätzen sollte. Hier wurde Literatur aus Europa, Asien und Nordamerika ausgewertet. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass aggressives Verhalten von Wölfen gegenüber Menschen in der Vergangenheit häufig auf tollwütige Tiere zurückzuführen war (siehe www.nrw-wolf.de/die-nina-studie-2002/www.nrw-wolf.de/die-nina-studie-2002/. Deutschland ist seit 2008 tollwutfrei. Doch auch die instinktive Vorsicht von Wölfen vor Menschen geht verloren, wenn die Tiere über lange Zeit gezielt angefüttert werden.
Was passiert, wenn Wölfe angefüttert werden?
Eine daraus resultierende Gewöhnung kann zu problematischen Verhalten führen – diese Tiere müssen aus der Natur entnommen werden. Dies mag für Tierschützer grausam erscheinen, dient aber dem Wohl der gesamten Wolfspopulation in Deutschland. Das Fehlverhalten eines an Menschen gewöhnten oder tollwütigen Tieres würde symbolisch auf alle anderen gesunden und „normalen“ Tiere übertragen werden. Eine sachliche Diskussion wäre dann nicht mehr möglich und die Mühen um die verträgliche Rückkehr des Wolfs würden sehr erschwert. Natürlich gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Berichte über (tödliche) Angriffe innerhalb Europas. Hier muss man jedoch die Umstände, die dazu geführt haben, mit betrachten (Mülldeponien, Kleinkinder als Hirten, geringe Beutetierdichte, Fleischabfälle am Dorfrand). Dennoch geht die Sicherheit des Menschen immer vor.
Welche Rolle spielen die Wölfe eigentlich in der Natur?
Wölfe stehen an der Spitze der Nahrungskette. In intakten Ökosystemen sind sie dafür verantwortlich die Population an Huftieren (Rehe, Hirsche, Wildschweine) niedrig und mobil zu halten. Sie erjagen, was sie am schnellsten erwischen, und das sind meist alte und kranke Tiere. Dadurch wird der Wildtierbestand kräftig und gesund, da sich nur die fittesten fortpflanzen. Auch der Verbiss an jungen Pflanzen verringert sich und der Wald hat mehr Zeit sich zu erholen, da die Huftiere in Wolfsgebieten mobiler sind und wandern. Für Jäger wird das Handwerk aber möglicherweise schwieriger, weil die Wildtiere scheuer und insgesamt noch vorsichtiger werden. Übrigens deuten Studien aus anderen Bundesländern darauf hin, dass die Wildtierbestände nicht – wie befürchtet – abnehmen.
Warum ist es überhaupt wichtig, dass wir ihre Rückkehr zulassen oder gar unterstützen?
Es ist richtig und wichtig, die Rückkehr des Wolfs zu unterstützen, da er zu unserer Natur dazu gehört. In einem so reichen und fortschrittlichen Land wie Deutschland sollten Lösungen für das Zusammenleben von Wolf und Mensch gefunden werden – mit dem Projekt „Herdenschutz“ leisten NABU und Landesschafzuchtverband dazu einen Beitrag (www.NABU-BW.de/Herdenschutz). Auch wenn das Zusammenleben nie ganz konfliktfrei gelingen wird, so ist es doch wichtig, den Weidetierhaltern finanziell und beratend zur Seite zu stehen.
Der vor 150 Jahren ausgerottete Wolf lebt wieder in Baden-Württemberg. In 2023 gründete sich hier auch ein Wolfsrudel – ein großer Erfolg für den Artenschutz. Der NABU zeigt, was das für Natur und Mensch im Land bedeutet. Und unterstützt beim Herdenschutz. Mehr →