Auffällige Wölfe und der Umgang mit ihnen
Der NABU Baden-Württemberg weist Forderungen zurück, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Das ist weder sinnvoll noch notwendig. Mehr →
Wolf auf dem Truppenübungsplatz Munster Nord - Foto: Jürgen Borris
Eine durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 2007 in Auftrag gegeben Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland rechnerisch ein Potenzial für 441 Rudel in 26 zusammenhängenden Gebieten gibt. Die durchschnittliche Territoriengröße beträgt bei dieser Studie ca. 200 km². Heute, 13 Jahre später, scheint dieses Modell zu konservativ zu sein. Eine neue Studie des BfN aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass - je nach angewandtem Modell - Platz für 700 - 1400 Rudel bzw. Territorien wäre, bei einer Territoriengröße von 200 km². Es handelt sich hier nicht um eine Zukunftsprognose, sondern eine theoretische Möglichkeit. Die neue Studie zeigt, wie anpassungsfähig und anspruchslos Wölfe sind und dass auch Gebiete, die früher als ungeeignet galten, mittlerweile besiedelt werden. Dies bestätigen Telemtrieergebnisse aus Ostdeutschland. Darüber hinaus sollen die Ergebnisse der Studie den Bundesländern bei der Erarbeitung von Managementplänen für den Umgang mit Wölfen helfen, denn sie zeigt auf, wo mit Wölfen in naher Zukunft theoretisch zu rechnen ist. Solche Informationen helfen, vorausschauend Herdenschutzmaßnahmen zu etablieren bzw. anzupassen, um auf die Rückkehr der Wölfe vorbereitet zu sein.
Fazit: Eine Prognose, wie sich die Rudelzahlen in Deutschland und Baden-Württemberg entwickeln werden, ist nahezu unmöglich. Wie sich die Anzahl der Rudel weiterentwickelt, werden die Monitoringdaten der nächsten Jahre zeigen. Fakt ist, dass Wölfe sehr anpassungsfähig sind und auch weniger geeignete Habitate annehmen werden. Zum Überleben brauchen Wölfe grundsätzlich genügend Nahrung – also eine hohe Wildtierdichte und Rückzugsräume für die Jungenaufzucht.
Die Wachstumsrate der Rudel beträgt auch nur dort 30 Prozent, wo geeignete Territorien noch unbesetzt sind. Es ist daher zu erwarten, dass sich das Wachstum der Wolfspopulation in den nächsten Jahren deutlich abschwächt, da immer mehr geeignete Territorien besetzt sein werden. Diese Territorien werden von einem Rudel auf Dauer besetzt. Das heißt, bei ansteigender Population wird es nicht mehr Wölfe in einer Region geben, sondern mehr Regionen mit Wölfen. Die von einigen Akteuren abgegebene Prognose, dass sich die Wachstumsrate von 30 Prozent fortsetzt und es bis zum Jahr 2030 eine Anzahl von rund 40.000 Wölfen in Deutschland geben wird, ist unrealistisch.
Quellen:
https://www.bundestag.de/resource/blob/393542/5e21bfea995e1f0f0f19271d442f365d/bericht-bmub-data.pdf (S. 25 ff.).
https://www.bfn.de/service/Dokumente/skripten/Skript556.pdf.
Der günstige Erhaltungszustand für Arten ist in Artikel 1 Buchstabe i) der FFH-RL definiert. Er wird über folgende Parameter eingeschätzt und zu einem Gesamtwert zusammengeführt:
Am meisten wird hier die Populationsgröße diskutiert. Eine günstige Referenzpopulation für eine Wolfspopulation muss mindestens so groß sein (vorzugsweise deutlich größer) wie die MVP (Minimum Viable Population = Mindestanzahl an Tieren einer Population, die für ein langfristiges Überleben der Population benötigt werden). Nach den IUCN-Kriterien wird für die mitteleuropäische Flachlandpopulation des Wolfes im Moment davon ausgegangen, dass bei 1.000 geschlechtsreifen Tieren die Referenzpopulation und damit der günstige Erhaltungszustand erreicht ist (Quelle: Linnell 2008).
Wichtig ist, zu betonen, dass es sich hierbei um ein Minimum handelt, bei dem die Population genetisch unabhängig überleben kann. Eine größere Populationsgröße wäre aus Sicht des Artenschutzes günstiger, um das langfristige Überleben zu sichern. Selbst dies würde keinesfalls zwingend zu einer Verschiebung aus dem Anhang IV der FFH-Richtlinie in den Anhang V führen, da nur eines der vier Kriterien für einen günstigen Erhaltungszustand erreicht wäre.
Die räumliche Ebene für die Einschätzung des Erhaltungszustandes ist immer die biogeographische Region. Für die Mitteleuropäische Flachlandpopulation sind das innerhalb Deutschlands drei Regionen: die atlantische, die kontinentale und die alpine. Diese Regionen werden getrennt voneinander bewertet. Linnell et al. (2008) empfehlen jedoch eine Einschätzung auf Populationsebene, diese umfasst Deutschland und Westpolen, nicht auf biogeographischer Ebene. Der Wolf ist für Deutschland im Anhang II und im Anhang IV der FFH-Richtlinie als streng geschützt definiert. Der hohe Schutzstatus gilt also nicht nur in Baden-Württemberg, sondern EU-weit.
Fazit: Das Erreichen des günstigen Erhaltungszustandes bedeutet nicht gleichzeitig, dass der Schutzstatus geändert oder herabgesetzt wird. Es bedeutet lediglich, dass die Erhaltungsziele der FFH-RL in Bezug auf den Wolf in einem von vier Punkten erreicht wurden.
Quelle:
https://www.bundestag.de/resource/blob/393542/5e21bfea995e1f0f0f19271d442f365d/bericht-bmub-data.pdf.
Bijlsma et al. (2019) Defining applying the concept of Favourable Reference Values for species and habitats under the EU Birds and Habitats Directives - Technical report 2928 supported by Europeam Commission.
In einem Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz wurde mit Bezug auf die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht in Sachsen die Verfassungswidrigkeit einer solchen Zuordnung festgestellt: Artenschutz gehört laut Artikel 72 (3) Grundgesetz zum sogenannten „abweichungsfesten Kern“ des Naturschutzes. Die Länder dürfen daher in ihren Landesgesetzen nicht von den Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes abweichen – und dort untersteht der Wolf ausschließlich dem Naturschutzrecht (Quelle: https://grundgesetz.wordpress.com/2008/03/01/grundgesetz-artikel-72).
In den Bundesländern Niedersachsen, Sachsen und Thüringen wurden Wölfe bzw. Wolfshybride mit „amtlicher Anordnung“, nach den Vorgaben des Naturschutzrechts abgeschossen. In Schleswig-Holstein und in Niedersachsen gab es Anfang 2019 Anordnungen für einen weiteren Abschuss. In allen Fällen war man sich einig, dass die Überführung des Wolfes ins Jagdrecht diese Abschüsse und deren Genehmigung nicht erleichtern würde.
Ein ganz entscheidendes Argument für das alleinige Belassen des Wolfes im Naturschutzrecht ist die klare Zuständigkeit: Würde ein Bundesland – grundgesetzwidrig – den Wolf dem Jagdrecht unterstellen, wären plötzlich zwei statt bisher nur einer Behörde zuständig: die Jagdbehörde und die Naturschutzbehörde, da der Wolf nach EU-Recht weiterhin eine streng geschützte Art ist. Wenn ein auffälliger Wolf auftritt, muss jedoch schnell gehandelt werden.
Eine Abstimmung zwischen zwei unterschiedlichen, ggf. miteinander konkurrierenden Behörden, würde die Verfahren unnötig verkomplizieren und in die Länge ziehen. Somit ergibt sich mehr Bürokratie und mehr Zeitaufwand und damit längere Entscheidungswege, bis ein auffälliger Wolf auch tatsächlich gefangen oder abgeschossen werden kann. Das kleinteilige Reviersystem in Deutschland würde einen Abschuss zusätzlich erschweren. Denn bei dem Jagdrecht unterliegenden Wildtieren müssen die Revierinhaber informiert und ggf. um Erlaubnis gebeten werden, wenn sich Personen mit Jagdwaffen in ihrem Revier aufhalten. Ein Wolf läuft aber bis zu 70 km in 24 h und damit ggf. durch weit über ein Dutzend Jagdreviere, deren Pächter alle informiert werden müssten. Die baden-württembergische Landesregierung lehnt die Zuordnung des Wolfes ins Jagd- und Wildtiermanagementgesetz ab, auch um zusätzliche Bürokratie zu vermeiden. Auch die Bundesregierung plant derzeit nicht, den Wolf dem Jagdgesetz (§ 2 Absatz 1 des Bundesjagdgesetzes) zu unterstellen.
Fazit: Die Aufnahme des Wolfes in das Jagdrecht ist unnötig, da es bereits jetzt rechtssichere Wege gibt, verhaltensauffällige Tiere zu entnehmen. Es würde lediglich zu Doppelzuständigkeiten und mehr Abstimmungsbedarf und damit zwangsläufig zu mehr Bürokratie und damit verlangsamten Möglichkeiten eines Wolfsabschusses führen.
Quelle:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/108/1710869.pdf.
https://grundgesetz.wordpress.com/2008/03/01/grundgesetz-artikel-72.
https://bfn.buchweltshop.de/pdf-nabiv-heft-143-naturschutz-und-jagdrecht-nach-der-forderalismusreform.html.
Unter bestimmten Vorausetzungen werden in Schweden Wölfe zur Jagd freigegeben. Jedoch ist diese Vorgehensweise rechtswidrig, der Bestand der Tiere nach wie vor bedroht und auch die Akzeptanz der breiten Bevölkerung niedrig. Lizenzjagden werden genehmigt, wenn eine Obergrenze von 300 adulten Tieren erreicht wird. Überzählige Tiere werden dann für einen kurzen Zeitraum (02.01.-15.02.) zum Abschuss freigegeben. Seit drei Jahren wurde die Mindestzahl von 300 Tieren jedoch nicht mehr überschritten – das Gegenteil ist sogar der Fall: Die Population sinkt, sodass seitdem auch keine Lizenzen vergeben werden konnte.
Fünf Kriterien müssen erfüllt sein, um eine Lizenzjagd zuzulassen:
Zusätzlich gibt es die sogenannte „Schutzjagd“. Danach kann jedes geschützte Tier getötet werden, sobald es eine Gefahr für landwirtschaftliche Tiere oder Menschen darstellt, auch wenn noch kein Angriff stattgefunden hat. Aktuell läuft jedoch ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Schweden, da die Lizenzjagd laut EU-Kommission gegen die FFH-Richtlinie verstößt. Schweden wurde bereits mehrere Male darauf verwiesen, die Abschüsse zu unterlassen, da diese nicht zielführend sind und den Bestand der Wölfe erheblich bedrohen. Hier werden die Ergebnisse bald erwartet. Bis dahin steht Schwedens Vorgehen unter Beobachtung der EU-Kommission.
Fazit: Da die schwedische Wolfspopulation nach wie vor von Inzucht und Isolation bedroht ist, wurde die Lizenzjagd für 2019 und 2020 ausgesetzt. Eine endgültige Bewertung steht noch aus. Fakt ist, dass auch Schweden sich an EU-Gesetze halten muss und diese nicht beliebig interpretieren kann. Die aktuelle Praxis der Lizenzjagd in Schweden ist vermutlich jedoch europarechtswidrig.
Quelle:
http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/PETI-CM-575008_EN.pdf?redirect.
http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5162_EN.htm.
Vorbemerkung: Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG ist eine Population eine biologisch oder geographisch abgegrenzte Zahl von Individuen einer Art, die sich untereinander fortpflanzen und über mehrere Generationen miteinander genetisch verbunden (verwandt) sind. Der FFH-Status wird nicht nur nach der Größe des Bestandes, sondern nach insgesamt vier Kriterien (siehe Frage 2) bemessen. Daher ist die Gleichsetzung des FFH-Status mit der Populationsgröße falsch. Auch bestimmen nicht die einzelnen Länder diesen Status, sondern die EU-Kommission. Alle 6 Jahre muss ein Bericht über den Zustand der FFH Arten (der Wolf ist eine Anhang II und IV Art) vorgelegt werden. Im Zuge dieses Berichts wird das weitere Vorgehen in Bezug auf die Art festgelegt. Im Sommer 2020 wird dieser Bericht erneut erwartet.
In Europa gibt es folgende 10 Wolfspopulationen:
Sierre Morena Population – Iberische Population – Alpen Population – Italienische Population – Balkan Population – Karpaten Population – Deutsch-Westpolnische Population (Mitteleuropäische Flachland Population) – Baltische Population – Karelische Population und die Skandinavische Population. Die unten stehende Karte wird sich sicher im Laufe der Zeit verändern. Getrennte Populationen werden mit der Zeit verschmelzen.
Verbreitung des Wolfes in Europa - Bild: Verein CHWOLF
Im Rahmen des Monitorings wird genetisches Material gesammelt, um mit den Ergebnissen benachbarte Wolfsrudel voneinander abgrenzen zu können oder auch die eventuelle Zuwanderung von Wölfen aus Nachbarpopulationen zu bestätigen. Die genetischen Analysen werden im Fachgebiet Naturschutzgenetik am Senckenberg-Forschungsinstitut, Standort Gelnhausen, durchgeführt. Das dortige Labor fungiert seit 2010 als Referenzzentrum für die Wolfsgenetik in Deutschland. Die deutschlandweit einheitliche Probenanalyse in einem zentralen Labor ermöglicht es, Individuen bundesländerübergreifend ihren Herkunftsrudeln zuzuordnen und Verwandtschaftsstrukturen zu ermitteln.
Wissenschaftler des Senckenberg-Institutes gehen davon aus, dass die Wölfe Deutschlands und Westpolens ursprünglich aus den Masuren stammen und sich daraus eine eigenständige Population entwickelt hat. Besonders im Süden Deutschlands werden über DNA-Analysen zudem gelegentlich Wölfe nachgewiesen, die aus dem Alpenraum stammen. Baden-Württemberg, Hessen und Bayern haben damit eine wichtige genetische Brückenkopffunktion für die Verbindung der deutsch-westpolnischen Population und der Alpen-Population. Einwanderer aus weiter entfernten Wolfspopulationen (z. B. Karpaten-Population) konnten in Deutschland über DNA-Analysen bislang noch nicht nachgewiesen werden. Auch eine Zuwanderung aus Nord-Ost-Polen (Baltische Population) ist bisher kaum vorhanden.
Die Zahlen zum Wolfsbestand in Deutschland werden zum Ende eines Monitoringjahres, welches jeweils vom 1. Mai bis zum 30. April des Folgejahres geht, durch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) veröffentlicht. Mit Stand 30.4.2019 gibt es in Deutschland: 78 Rudel, 9 Paare und 12 territoriale Einzeltiere. Dies ergibt ca. 170 adulte Tiere. Die westpolnische Population umfasste zum Ende des Monitoringjahres 2017/18 laut IFAW, der das polnische Wolfsmonitoring von deutscher Seite unterstützt, 80 Rudel bzw. Paare (Persönliche Mitteilung, IFAW). Dies sind ca. 160 adulte Tiere. Aktuellere Zahlen, die den kompletten deutschen Bestand wiedergeben, wird es im Sommer 2020 geben.
Fazit: Bisher besteht nur vereinzelt genetischer Austausch der mitteleuropäischen Flachlandpopulation mit der alpinen Population und /oder der italienischen Population. Ein Wolfsrudel in Bayern zum Beispiel hat sich aus einem Tier aus der mitteleuropäischen Flachlandpopulation und einem weiteren Tier aus der alpinen Population zusammengefunden. Ein relevanter Genfluss zwischen der mitteleuropäischen Flachlandpopulation und der baltischen Population oder der Karpaten-Population lässt sich bislang aber noch nicht nachweisen. Es handelt sich nach wie vor um getrennte Populationen. Die mitteleuropäische Flachlandpopulation umfasst aktuell ca. 370 adulte Tiere.
Quelle:
www.dbbw.de.
www.ifaw.de.
https://www.wolf.sachsen.de/genetische-untersuchungen-4441.html.
Manchmal wird umgangssprachlich von „Problem-Wolf“ gesprochen. Die Wildbiologie und auch die Managementpläne der Bundesländer sprechen aber von „verhaltensauffälligen“ Wölfen. Die Grafik stellt gut dar, welches Verhalten als „auffällig“ gilt. Man kann aber zusammenfassen: Einzelne Wölfe, die ihre Distanz gegenüber Menschen dauerhaft aufgeben und sich dreist oder aggressiv gegenüber Menschen zeigen, können als „auffällig“ bezeichnet werden.
Grafik zur Einschätzung von Wolfsverhalten - Grafik: BfN (NuL 2017 Heft 11) nach DBBW "Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten (Skript 502, 2018)
Für mehr Informationen und eine detaillierte Beschreibung hat das BfN das Skript 502 veröffentlicht.
Fazit: Der NABU hält sich bei der Definition von „auffälligen Wölfen“ an die bundesweit einheitliche Definition des BfN.
Quellen:
https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/artenschutz/Dokumente/Wolfsverhalten.pdf.
https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/Skript502.pdf (S. 17 ff.).
Bei der Sozialverträglichkeit von Herdenschutzmaßnahmen geht es um die Frage der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit von Herdenschutzmaßnahmen für betroffene Weidetierhalter und für die Gesellschaft. Dies ist im Grunde ein Abwägungsprozess. Wie hoch wird das Schutzgut Wolf im Vergleich zu anderen Schutzgütern z. B. Weidetierhaltung, Tierschutz, Ausübung der Berufsfreiheit der Weidetierhalter, tatsächliche Sicherheit und empfundenes Sicherheitsgefühl, etc. bewertet. Da das eine Schutzgut nicht gegen das andere ausgespielt werden darf, muss im Sinne der Verhältnismäßigkeit ein Zwischenweg gefunden werden.
Unabhängig vom Wolf existiert bundesweit die Pflicht zu einem Grundschutz für Weidetiere. Dieser Grundschutz gilt im landwirtschaftlichen Fachrecht (siehe aid-Broschüre Sichere Weidezäune, S. 33 ff.) übrigens allgemein und gerichtsfest, auch ohne Wolfspräsenz. Die allgemeine Pflicht zur Einhaltung dieses Grundschutzes bekommt durch den Wolf aber eine höhere Relevanz. In Baden-Württemberg wird Folgendes für den Herdenschutz zur Abwehr von Wölfen empfohlen:
Grundschutz: 90 cm Elektrozaun, mind. 5 Litzen, unterste stromführende Litze in max. 20 cm Höhe, Mindestspannung ≥ 4000 V, Weidezaungerät mit einer Impulsenergie von ≥ 1 J. Die messbare Spannung an der Erdung darf maximal 600 V betragen.
Darüber hinaus definiert das Umweltministerium einen „empfohlenen Herdenschutz“, der über den Mindestschutz hinausgeht. In Regionen mit regelmäßigen Wolfsvorkommen werden Zäune mit einer effektiven Mindesthöhe von 105 cm, mindestens 5 Litzen, zusätzliche optische Barriere in 120 cm durch Flatterband oder Breitbandlitze 30 cm über dem Netzzaun, empfohlen. Die zusätzliche Barriere ist erst nach Überwinden des Grundschutzes zu empfehlen.
In der „Förderkulisse Wolfsprävention“ wird die Einhaltung dieses Mindestschutzes zwar als Vorausetzung für Entschädigungszahlungen bei Weidetierrissen angesetzt, dafür werden die Zäune, moderne Zaungeräte und zusätzliche benötigte Materialien zu 90 Prozent der Nettokosten vom Land gefördert. Ebenso werden die jährlichen Unterhaltskosten für Herdenschutzhunde für Betriebe ab einer Größe von 60 Schafen übernommen. Das ist ein Betrag von 1.950 Euro pro Hund/Jahr. Der NABU fordert eine Übernahme der Unterhaltskosten für Herdenschutzhunde bereits ab 20 Schafen. Außerdem setzt er sich zusammen mit dem Landeschafzuchtverband dafür ein, dass in Zukunft 100 Prozent der Kosten übernommen werden und auch der mit dem Herdenschutz verbundene zusätzliche Arbeitsaufwand angemessen vergütet wird.
Fazit: Wolf und Weidetierhaltung nebeneinander zu ermöglichen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Weidetierhaltung erbringt wichtige Leistungen im Bereich der Landschaftspflege und im Naturschutz. Daher hält der NABU diese und ähnliche staatliche Förderungen für weidetierhaltende Betriebe für gerechtfertigt.
Quellen:
aid: Sichere Weidezäune.
https://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/3_Umwelt/Naturschutz/Biologische_Vielfalt/190425-Grundschutz-fuer-Schafen-Ziegen-und-Gehegewild-innerhalb-der-Foerderkulisse.pdf.
Insbesondere in unseren topographisch sehr anspruchsvollen Mittelgebirgslagen, welche oft durch Steilheit, unruhiges Relief, trockene und flachgründige Standorte geprägt sind (Schwarzwald, Schwäbische Alb, Allgäu), stellt der effektive Herdenschutz eine besondere Herausforderung dar. Allerdings zeigt sich an zahlreichen Beispielen in entsprechenden Lagen im Schwarzwald und der Schwäbischen Alb, dass mit Drahtlitzenzäunen bereits auch in schwierigem Gelände sehr praktikabel Festzäune gebaut werden können, sodass eine Beweidung mit Ziegen und Schafen möglich wird. Diese Zäune wurden bereits in der Vergangenheit mit Naturschutzmitteln finanziert und gebaut. Hier sollte vor allem mit sehr dauerhaftem Material (z. B. Robinie) gearbeitet werden.
Das Freihalten des Zaunes kann durch die Verwendung entsprechender Zauntechnik (Weidezaungeräte, Wahl des Materials, gute Erdung) auf ein vertretbares Maß reduziert werden. Der Mehraufwand sollte monetär ausgeglichen werden. Zudem verfügt Baden-Württemberg über die Besonderheit, dass noch viel Hüteschäferei betrieben wird. Durch die Behirtung am Tage besteht ein geringes Risiko für die Tiere, Opfer von Raubtieren wie Wolf und Luchs zu werden. Die Flächen müssen tagsüber nicht entsprechend abgezäunt werden. Wichtig ist, den Schäfern geeignete Nachtpferche zur Verfügung zu stellen, welche ein hohes Maß an Sicherheit bei entsprechender Größe in ebenem Gelände und wenn keine Einsprunghilfen vorhanden sind, gewährleisten. Der Erhalt der Hüteschäferei in Baden-Württemberg ist somit ein wesentlicher Beitrag zum Herdenschutz und muss unbedingt gefördert werden.
Da wo es möglich ist, kann auch auf Herdenschutzhunde zurückgegriffen werden, welche durch ihre Präsenz auch in schwierig einzuzäunenden Gebieten den Schutz erhöhen können. Voraussetzung ist die Möglichkeit, Herdenschutzhunde in den Betriebsablauf integrieren zu können und die Bereitschaft der Tierhalter sich auf diese Hunde einzulassen. Leider ist nicht jeder Betrieb dafür geeignet, Herdenschutzhunde zu halten.
Bei Rindern und Pferden kann durch Konzentration der Jungtierphase (Fohlen, Kälber) auf einen bestimmten Zeitraum der Schutz erhöht werden. Dazu werden die Tiere in den gefährdeten Zeiträumen auf besser gesicherte, hofnahe Weiden gebracht. Auch der Schutz durch die Muttertiere und der gesamten Herde (Mutterkuhhaltung) hat sich bewährt und kann als Grundschutz angesehen werden. Wenn es hier allerdings zu Rissen kommt, muss dennoch eingezäunt werden, wie andere Bundesländer (NS) zeigen. Wichtig bei der Zäunung ist, darauf zu achten, dass Jungtiere nicht außerhalb der Weide gelangen.
Fazit: Der sicherlich schwierigere Schutz in extremen Verhältnissen und Standorten bedingt einen höheren (Zeit-)Aufwand und unter Umständen mehr Personal. Die kann durch Systemanpassungen, neuere technologische Errungenschaften, den Einsatz von Herdenschutzhunden (wo machbar) und der grundsätzlichen Verbesserung der monetären Situation erreicht werden.
Quellen:
Erfahrungen aus dem Herdenschutzprojekt von NABU und LSV in Baden-Württemberg sowie aus anderen Ländern mit ähnlichen topographischen Verhältnissen.
Von Teilen der Landwirtschaft und teilweise auch aus der Jägerschaft werden Forderungen nach wolfsfreien Gebieten erhoben. Dabei handelt es sich um Gebiete, aus denen Wölfe systematisch ferngehalten werden oder ausgerottet werden sollen. Die Ausweisung solcher Gebiete ist rechtlich nicht zulässig, da sie je nach Größe und Vorkommen dem günstigen Erhaltungszustand der Wolfspopulation in diesem Gebiet entgegensteht. Außerdem sind alternative Maßnahmen zur Verringerung der Schäden an Nutztieren vorhanden.
Eine Ausweisung „wolfsfreier Zonen“ könnte praktisch nur über Vergrämung oder den Abschuss eines Wolfes erflogen und dies ist nach § 45 Abs. 7 BNatSchG verboten. Nur in einzelnen Ausnahmefällen ist der Abschuss nach Art. 16 FFH-RL rechtlich zulässig, unter der Voraussetzung, dass mildere Maßnahmen keinen Erfolg versprechen. Dies macht auch ein Schreiben der EU Kommission an das Umweltministerium von Baden-Württemberg vom Dezember 2018 deutlich.
Darüber hinaus entbinden wolfsfreie Zonen nicht vom Herdenschutz, da wandernde Jungwölfe immer wieder auch in vermeintlich wolfsfreien Gebieten auftauchen können. Somit wären wolfsfreie Zonen praktisch gar nicht umsetzbar. Häufig sind es aber gerade wandernde Jungwölfe, und nicht etablierte Wolfsrudel, die bei Nutztieren Schäden anrichten.
Durch Abschüsse wird nicht nur die Sozialstruktur gestört, es kann auch dazu kommen, dass es von jungen Wölfen eine erhöhte Einzugsrate in Gebiete gibt, in denen Wölfe abgeschossen werden (Minnie et al., 2016 in Kuijper et al., 2019). Es gibt Hinweise, dass die Geburtenrate in Revieren steigt, die in Nachbarschaft zu Gebieten liegen, in denen Wölfe geschossen werden (Schmidt et al., 2017). Die Population nimmt also aufgrund der Abschüsse zu (Kuijper et al., 2019) und erhöht so die potenziellen Konflikte in Gebieten, in denen Wölfe zum Abschuss freigegeben wurden.
Auch auf der praktischen Seite tun sich sehr viele Fragen auf:
Fazit: Die Forderung nach dem Abschuss in bestimmten festgelegten Gebieten ist rechtlich und praktisch nicht umzusetzen. Im Gegenteil, diese Abschüsse würden die Populationsdynamiken unvorhersehbar negativ beeinflussen. Stattdessen braucht es intelligente Herdenschutzlösungen.
Quellen:
Deutscher Bundestag: Zulässigkeit wolfsfreie Zonen.
Kuijper et al. (2019) Keep the wolf from the door: How to conserve wolves in Europe’s human-dominated landscapes? Biological Conservation 235.
Eine Regulierung der Bestände ist aus ökologischer Sicht nicht erforderlich. Wölfe stehen an der Spitze der Nahrungskette. Ihre Zahl wird nicht durch natürliche Feinde, sondern weitgehend durch die Häufigkeit und Verfügbarkeit ihrer Beutetiere und geeigneter unbesetzter Gebiete sowie der Sterblichkeit durch Straßenverkehr Krankheiten und dem Alter reguliert. Daraus ergibt sich ein natürliches Wechselspiel von Vermehrung, Zu- und Abwanderung und Sterblichkeit.
Durch die ausgeprägte Territorialität der Wölfe ist dem Bestand in einem Gebiet stets eine natürliche Grenze gesetzt. Wölfe werden sich nur so lange exponentiell ausbreiten bis die sogenannte Umweltkapazität „K“ erreicht ist und alle geeigneten Territorien besetzt sind. Diese werden bis zum Tod besetzt und in der Regel an Nachkommen weitergegeben und Eindringlingen gegenüber verteidigt. Eine unkontrollierte Ausbreitung von Wölfen gib es also nicht. Es nehmen, bis die Umweltkapazität „K“ erreicht ist nicht die Wölfe in einem Territorium zu, sondern die Territorien mit Wölfen. Aktuell liegt die Größe für ein solches Territorium zwischen 250-300 km². Die Umweltkapazität „K“ liegt laut einem vom BfN in Auftrag gegebenen unveröffentlichten Modell (siehe Frage 1) bei 441 Rudeln. Allerdings gilt diese Einschätzung als zu konservativ.
Der Biologe Oliver Weirich hat dieses Modell als Grundlage für ein neues logistisches Modell verwendet, in welchem diese Zahl im Monitoringjahr 2044/45 erreicht sein wird. Da die Populationsentwicklungen in Deutschland und Westpolen ungefähr gleich verlaufen und man bei einer günstigen Referenzpopulation von 1.000 adulten Individuen (= günstiger Erhaltungszustand) ausgeht, ist der deutsche Anteil von 500 adulten Tieren (=167 Rudel) wahrscheinlich im Monitoringjahr 2022/23 erreicht. Fraglich ist jedoch, ob die Umweltkapazität „K“ jemals erreicht wird. Das Regulativ des Nahrungsangebotes kann man vernachlässigen, da die Wildtierdichten aktuell so hoch wie nie zuvor sind. Nach wie vor stellt der Straßenverkehr eine große Gefahr dar und ist die häufigste Todesursache. Erst an dritter Stelle, nach der illegalen Verfolgung als zweite Hauptursache, kommt der natürliche Tod (Tod aufgrund von Krankheit, Alter und Verletzungen).
Zusätzlich kommt es zu natürlichen Abwanderungen. Je näher eine Population sich ihrer Kapazitätsgrenze nähert, desto langsamer wird ihr Wachstum, da geeignete Territorien immer weniger werden und es vermehrt zu innerartlichen Konflikten kommen kann. Eine große Rolle spielt bei dieser Frage auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Von der Akzeptanz hängt die Antwort mindestens genauso ab. Für eine breite Akzeptanz ist eine faktenbasierte Öffentlichkeitsarbeit nötig, die mit Vorurteilen aufräumt.
Fazit: Die hier aufgeführten Daten zur Populationsentwicklung der Wölfe in Deutschland sind als Näherungswerte zu verstehen und zukünftige Monitoringdaten werden zeigen in wieweit die beiden Modelle angepasst werden müssen.
Als Spitzenprädator muss der Wolf aus ökologischer Sicht nicht kontrolliert werden. Da auch jetzt schon verhaltensauffällige Wölfe rechtssicher entnommen (= erschossen) werden dürfen, gibt es keinen Grund für eine Bestandsregulation.
Quellen:
www.um.de.
http://www.lausitz-wolf.de/fileadmin/PDF/Weirich_2018_Die_natuerlichen_Grenzen_der_Wolfspopulation.pdf.
www.dbbw.de.
Der NABU Baden-Württemberg weist Forderungen zurück, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Das ist weder sinnvoll noch notwendig. Mehr →
Seit dem Jahr 2000 leben wieder Wölfe in Deutschland. Dadurch ergeben sich Fragen. Die wichtigsten hat der NABU hier beantwortet. Mehr →
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