Streuobstlandschaft verändert sich
Interview mit Markus Rösler vom NABU- Bundesfachausschuss Streuobst
Seit 1950 sind mehr als 80 Prozent der Streuobstwiesen verschwunden. Die Ursachen: Zu niedrige Preise für Streuobst, Bebauung, verändertes Verbraucherverhalten und mangelnde Pflege. Auch der Klimawandel mit Wetterextremen setzt den Bäumen zu. Im Interview erklärt Markus Rösler vom NABU-Bundesfachausschuss Streuobst, wie sich die Streuobstlandschaft verändern wird und was wir tun können, um diesen Landschaftsschatz zu erhalten.
Lieber Markus, wie gestaltet sich das aktuelle Streuobstjahr 2024?
In manchen Regionen Deutschlands, wie in Sachsen, aber auch in Teilen Polens, gibt es wegen Spätfrösten praktisch einen Totalausfall. In Baden-Württemberg ist Stand Anfang September mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen.
Welche Probleme schafft der Klimawandel?
Hitze und Sonneinstrahlung sorgen für mehr Sonnenschäden an Bäumen und Früchten sowie für höheren Wasserbedarf nicht nur bei Jungbäumen, sondern sogar bei vitalen Altbäumen. Höhere Temperaturen begünstigen die Ausbreitung von Krankheiten und Pilzen wie dem Schwarzem Rindenbrand, fördern Schadinsekten wie den Apfelwickler und die Ausbreitung der Mistel. Ein früherer Blühbeginn und zugleich weiterhin Spätfröste bedrohen die Ernten.
Kann man Streuobstwiesen klimafit machen?
Ja, indem man bei Pflanzungen ausschließlich Sämlingsunterlagen verwendet und zudem auf die Erhaltung der Pfahlwurzel in den Baumschulen drängt. Bei längeren Dürrephasen muss man außerdem die Altbäume gießen. Die Stämme, auch bei Bäumen im Ertrag, weißen und Leimringe einsetzen.
Wie verändert der Klimawandel den Lebensraum Streuobstwiese?
Die Masse der Bäume unterliegt höherem Hitze- und Dürrestress sowie Sturmgefahren. Das bedroht die derzeitigen oft überalterten Bestände am meisten. Die artenreichen Blumenwiesen werden mit Klimaerwärmung und Extremwettereignissen, zumindest in den nächsten Jahrzehnten, wohl ganz gut zurechtkommen. Wärmeliebende Arten, wie der Wiedehopf und der Rotkopfwürger, profitieren von den Veränderungen. Zudem kommen durch die burgundische Pforte – einer Hochebene zwischen Vogesen und Jura – mediterrane Insektenarten vermehrt nach Baden-Württemberg. Es wird die nächsten Jahrzehnte in den Streuobstwiesen voraussichtlich eher Artenverschiebungen als gravierende Verluste von Arten geben.
Was gefährdet unsere Streuobstbestände im Land noch?
Hauptsächlich sind es mangelnde Nachpflanzungen mit oft schlechter Pflege der Hochstämme und leider immer noch die direkte Bebauung. Weil die Preise für Streuobst meistens viel zu niedrig sind, fehlen Anreize zur Bewirtschaftung. Immer gravierender wird die Konkurrenz durch Bio-Apfelsaft aus Plantagen – das ist für Verbraucher schwierig zu unterscheiden.
Sind Streuobstwiesen noch zu retten?
Ja, mit einer dauerhaften, guten Pflege und mit viel mehr Pflanzungen: Neupflanzungen brauchen höchste Priorität und müssen in großem Umfang erfolgen! Bayern ist da Vorbild mit einer landesweit vieljährig groß angelegten Pflanzkampagne. In Baden-Württemberg benötigen wir dringlich ein Sofortprogramm mit dem Ziel, jährlich mindestens 200.000 Hochstämme zu pflanzen. Das bedarf verbindlicher Absprachen mit den Baumschulen, die mindestens zwei Jahre Vorlauf benötigen. Bei der Stammhöhe lieber auf zwei oder 2,20 Meter setzen. Denn dies erleichtert Mahd oder Beweidung und ist für Spechte sowie den Artenreichtum auf Wiesen von großer Bedeutung. Projekte mit fairen Preisen zu fördern – etwa mit einem Preis von 25 Euro pro Doppelzentner bei Mostäpfeln – und 100 Prozent Streuobst-Produkte zu kaufen, hilft natürlich auch. Nötig ist außerdem eine andere Agrarpolitik: Es braucht deutlich mehr Forschung, Pflanzung und Pflege, Verwertung und Vermarktung für Hochstämme wie für Plantagen.
Worauf sollte man bei der Obstarten- und Sortenwahl achten?
Vielfalt ist Trumpf, wenn der Naturschutz und nicht möglichst viel Ertrag im Vordergrund stehen. Bei den Bäumen werden Walnuss, Esskastanie und, in wenig frostgefährdeten Lagen, auch Mandel leichter anzubauen sein und wohl häufiger werden. Bei der Sortenwahl sollte man darauf achten, dass sie möglichst wenig anfällig sind für Krankheiten wie Feuerbrand und Birnenverfall.
Was ist bei der Mahd entscheidend?
Kleinräumigkeit, unterschiedliche Schnittzeitpunkte und Balken- statt Kreiselmäher – auf kleinen Flächen das Sensen – fördern die Artenvielfalt. Bei vielfältigem Nutzungsmosaik sollten manche Flächen, z.B. für den Steinkauz, auch schon im Mai gemäht werden.
Fördert das Land auch Privatpersonen bei der Pflege von Streuobstwiesen?
Beim Baumschnitt bietet Baden-Württemberg ein bundesweit vorbildliches Programm mit mehr als drei Millionen Euro reinen Landesmitteln pro Jahr zur Baumschnittförderung auch für Privatpersonen an. Ich hoffe, dass künftig der Einstieg in diese Förderung nicht nur alle fünf Jahre möglich ist.
Was bringt das neu geplante Streuobst-Qualitätszeichen des Landes?
Ein guter Ansatz, leider aktuell unglücklich verwässert: Unter der Bezeichnung „Streuobst-Qualitätszeichen BW“ soll das Beimischen von bis zu 15 Prozent Saft aus über 30-mal chemisch-synthetisch gespritzten Plantagen zulässig sein. Aus meiner Sicht ist das Verbrauchertäuschung. Wer Saft kauft, sollte auf 100-Prozent Streuobst achten. Zuverlässig sichergestellt wird das nur durch das NABU-Qualitätszeichen für Streuobstprodukte oder durch das geplante Qualitätszeichen „Hochstamm Deutschland“.