Waldgebiet des Jahres 2014
Interview mit Johannes Enssle über den Schönbuch
Wer kennt ihn nicht – den Schönbuch? Dieses rund 156 Quadratkilometer große Waldgebiet, mitten im Ballungsraum zwischen Böblingen, Tübingen, Reutlingen und Waldenbuch als nördliches Tor zu diesem landschaftlichen Kleinod.
Er ist der Wald des Jahres 2014 und das nicht ohne Grund, so jedenfalls urteilt Johannes Enssle, Waldreferent beim NABU Baden-Württemberg. Nelli Wolf unterhielt sich mit ihm über das Waldgebiet des Jahres:
Herr Enssle, der Schönbuch wurde in einer bundesweiten Abstimmung zum Waldgebiet des Jahres gekürt. Warum eigentlich?
Mit der Vergabe möchte die Forstwirtschaft auf die Bedeutung des Waldes für uns Menschen aufmerksam machen und für die Belange von Wald und Forstwirtschaft werben. Der Schönbuch ist das dritte Waldgebiet Deutschlands, das diese Auszeichnung bekommen hat. Ich denke zu Recht, denn der Schönbuch ist schon etwas ganz besonderes. Er hat eine bewegte Geschichte und ist landschaftlich wie touristisch unheimlich attraktiv. Als großes geschlossenes Waldgebiet mitten im Ballungsraum zwischen Stuttgart und Tübingen treffen hier eine Vielzahl von Interessen aufeinander.
Stehen im Schönbuch denn lauter „schöne Buchen“ oder warum heißt er Schönbuch?
Tja, wenn man den Namen hört, dann möchte man schon meinen, dass dieser Name Programm ist. Und tatsächlich, der Schönbuch ist das Waldgebiet Baden-Württembergs mit dem höchsten Anteil sehr alter Buchenbestände. Doch mit dem Namen hat es eine ganz andere Bewandtnis. Man weiß heute, dass der Name „Schönbuch“ nicht für „schöne Buchen“ steht sondern sich aus den mittelhochdeutschen Worten „Scheie“ und „buoch“ ableitet. „Scheie“ heißt so viel wie „Holzzaun“. Die Silbe „-buch“ steht für Buche und damit für Wald oder Waldstück.
Der Schönbuch, ein Wald mit Zäunen also?
Ja. Aber um das zu verstehen und um überhaupt ein Gefühl für den Schönbuch zu bekommen, lohnt es sich, einen Blick in seine bewegte Geschichte zu werfen. Der Schönbuch war nicht zu allen Zeiten ein geschlossener Wald. Aus historischen Dokumenten wissen wir, dass er um 1600 wohl zu zwei Dritteln aus Weide, Wiese und Acker und lediglich zu einem Drittel aus Wald bestand. Der Name spiegelt vor allem die Geschichte des Schönbuches wider. Der Wald wurde zu dieser Zeit ganz anders genutzt als heute. Ob als Viehweide, zur Streunutzung, zur Teer- Harz-, Pottasche- oder zur Gerbrindengewinnung. Markante Bäume wie die rund 400 Jahre alte „Sulzeiche“ dienten als „Huteeichen“ zur Schweinemast und sind noch heute eindrucksvolle Zeugen dieser Nutzungsgeschichte. Mit der beginnenden Industrialisierung wuchs der Holzhunger. Der Rohstoff wurde in großen Mengen für Eisenhütten, Schmieden und Glashütten, für die Köhlerei und natürlich für den Hausbrand und als Baustoff benötigt. Beruht unser heutiges Wirtschaftssystem im Wesentlichen auf Erdöl und Hochtechnologie, waren damals Wald und Holz die Schlüsselressourcen. Historiker sprechen daher auch vom „Hölzernen Zeitalter“.
Und der Zaun?
Die erste Erwähnung des Schönbuchs findet sich in historischen Dokumenten aus dem Jahre 1191 als „silva Schainbvoch“. Das Wort „silva“ beschreibt dabei den Wald der Allgemeinheit, im Gegensatz zu „forestis“, das den königlichen Wald beschreibt und dessen Nutzung einem engen Personenkreis vorbehalten war. Das Wort „Förster“ kommt von diesem „forestis“. Sie waren ursprünglich die Verwalter für den königlichen Wald. In der „silva“ wurden dem Volk von den Landherren einzelne Nutzungsrechte zugeteilt. Es wird daher angenommen, dass mit „silva Schainbvoch“ ein Wald bezeichnet wurde, der mit Zäunen abgegrenzt und gesichert war. Gegen Zahlung einer Miete konnte man Nutzungsrechte erwerben. Die Nutzungsberechtigten trieben ihr Vieh ein, holten Brenn- und Bauholz, nutzten die Laubstreu als Futter und Einstreu für den Winter usw.. Im Jahre 1714 wurde der Viehbestand im Schönbuch auf 15.000 Stück geschätzt. Das muss man sich mal vorstellen.
Welche Auswirkungen hatte diese Nutzung auf den Wald?
All das führte natürlich schnell zu einer gewaltigen Übernutzung des Waldes und zur Aushagerung der Böden. Die jahrhundertelange Streunutzung verursachte eine Nährstoffarmut, die wir teilweise noch heute in den Waldböden nachweisen können, genauso wie jahrhundertealte Spuren des Ochsenpflugs, die stellenweise noch heute in Bodenprofilen sichtbar werden. Neben der Übernutzung des Waldes durch die arme Bevölkerung tat die Jagdleidenschaft der Herrschaften ihr Übriges. Rotwild und Wildschweine wurden von den Bediensteten der Herrschaften in großen Zahlen herangezüchtet, um sie dann auf feudalen Jagdfesten regelrecht abzuschlachten. Im Kloster Bebenhausen lassen sich eindrucksvolle Gemälde solcher opulenten Dianenfeste aus dem Barock bestaunen. Die überhegten Wildbestände zerfraßen den Wald und machten natürlich auch in den umgebenden Feldern große Schäden, was zu erheblichen Protesten bei der Bevölkerung führte. Diese konnte sich kaum dagegen wehren, durften sie das sogenannte Hochwild doch nicht selbst bejagen. Darüber hinaus wurde die ländliche Bevölkerung für die Ausrichtung der feudalen Jagdfeste zu heute schier unvorstellbaren Frondiensten verpflichtet.
Warum gibt es heute dann aber wieder so viel Wald im Schönbuch?
Der Übernutzung und Entwaldung folgte eine Holznot. Die landwirtschaftlichen Schäden durch die überhöhten Rot- und Schwarzwildbestände waren teilweise existenzbedrohend und führten zu erheblichen Unruhen in der Bevölkerung. Das zwang die Obrigkeiten zu tiefgreifenden Veränderungen. Der Rotwildbestand wurde drastisch reduziert. Im Jahre 1816 sollen es nur noch 25 Stück gewesen sein. Die Nutzungsrechte der "Schönbuchgenossen" wurden in Geld oder Wald abgelöst, wodurch der Privat- und Kommunalwald im Schönbuch entstand. Die Trennung von Wald und Weide war die wohl wichtigste Entscheidung, denn sie war die Voraussetzung für den Erfolg der Wiederbewaldung, da die jungen Bäumchen sonst durch das Vieh zertrampelt und gefressen worden wären. Drastische Strafen sollten die Bauern daher davon abhalten, ihr Vieh in den Wald zu treiben oder Holz zu stehlen. Die Aufforstung der devastierten Flächen erfolgte zumeist durch Saat von Fichte und Kiefer, da diese wesentlich anspruchsloser und leichter zu kultivieren waren als die ursprünglich heimischen Laubbäume. Auch nach den beiden Weltkriegen wurde hauptsächlich mit diesen Baumarten aufgeforstet, was die Kiefern- und Fichtenforste im Schönbuch noch heute belegen. Die Funktion der bewaffneten Förster war damals eher polizeilicher Natur. Ihre Arbeit war nicht ungefährlich. So erinnert noch heute der Pfeifferstein am Kirnberghang an den Mord des Försterlehrlings Wilhelm Pfeiffer durch Holzdiebe.
Nach wie vor gibt es Rotwild im Schönbuch, und auch einen Zaun. Ist das auch ein Relikt aus dieser Zeit?
Ja und nein. Obwohl noch bis vor wenigen Jahrzehnten groß angelegte Diplomatenjagden im Schönbuch ausgerichtet wurden, lässt sich das heutige Rotwildgebiet wohl kaum noch mit der damaligen Zeit vergleichen. Zwar soll der Zaun auch heute noch die umliegenden Wälder und Felder vor übermäßigen Schäden durch Rotwild schützen, doch das Rotwild wird heute ganz anders behandelt als damals. Die Zahl der Tiere ist auf ein für den Wald und das Wild verträgliches Maß reduziert, die Managementkonzepte berücksichtigen die heutigen wildbiologischen Erkenntnisse zur Lebensweise und zum Verhalten der Hirsche. Es gibt im Schönbuch Wildruhezonen, wo die Tiere von Menschen ungestört bleiben genauso wie fest angelegte Beobachtungspunkte und Schaugatter, von denen wir Menschen die Tiere ohne nennenswerte Störung beobachten können. Die Bejagung findet an nur wenigen Tagen im Jahr statt, wodurch den Tieren eine natürlichere Verhaltensweise ermöglicht wird. Das sogenannte Rotwildmanagement im Schönbuch steht häufig Modell für andere Gebiete mit Rotwildvorkommen in Deutschland.
Was macht den Schönbuch heute aus?
Eine gute Frage. Als Erholungsgebiet aus den Ballungsgebieten rund um den Schönbuch hat er eine enorme Bedeutung für die Bevölkerung. So zählt das relativ kleine Gebiet jährlich rund vier Millionen Besucher. Kulturhistorisch hat der Schönbuch mit seiner Geschichte, seinen vielen Denkmalen, Hütten, historischen Wegen und natürlich ganz besonders mit dem Kloster Bebenhausen einiges zu bieten. Als bewaldete Hochfläche, durchzogen von den drei Hauptbäche Schaich, Arenbach sowie den Goldersbach und den Steilhängen im Süden ist der Schönbuch auch landschaftlich sehr abwechslungsreich. Dies macht ihn auch aus Naturschutzsicht sehr interessant. Die schmalen Waldbäche mit ihren Auen und Feuchtwiesen, besonnte Steilhänge und ein hoher Anteil an Schonwäldern und Naturschutzgebieten machen den Wert dieses Waldgebietes aus. Neben den einzelnen alten Hutebäumen, die oftmals ein besonderes Refugium für seltene Käfer- und Pilzarten bilden, finden wir im Schönbuch trotz seiner bewegten Nutzungsgeschichte auch einen überdurchschnittlich hohen Anteil alter Buchen- und Eichenwälder. Diese über 180 Jahre alten Buchen- und über 250 Jahre alten Eichenbestände sind für Vogelarten wie dem Mittelspecht, aber auch für viele Fledermäuse, Käfer und Pilze ein unersetzlicher Lebensraum. Ich bin froh, dass die Forstverwaltung diese Bestände aus der Nutzung genommen hat, so dass hier mit der Zeit kleine Urwalzellen entstehen können.
Im letzten Winter ist die Forstwirtschaft im Schönbuch massiv in die Kritik geraten. Wiederholt wurden schwere Schäden an Waldwegen und Rückegassen angeprangert. Wie ist das zu bewerten?
Im letzten Winter stand die Forstwirtschaft nicht nur im Schönbuch in der Kritik, im ganzen Land machte der milde Winter den Forstwirten zu schaffen. Da der Boden nicht hart gefroren sondern nass und weich war, sanken die Holzerntemaschinen tief ein und hinterließen üble Spuren und verschlammte Waldwege. Aufgrund der sensiblen Öffentlichkeit im Schönbuch und auch weil die Böden im Schönbuch im Vergleich zu anderen Gebieten besonders empfindlich auf Befahrung reagieren, hat sich die Debatte wohl vor allem im Schönbuch entfacht. Es bildete sich eine Bürgerinitiative, die sich den Schutz des Waldes und den Kampf gegen große Holzerntemaschinen zum Ziel gesetzt hatte. Ich denke, die daraus entstandene öffentliche Diskussion war sehr wertvoll und hat auf allen Seiten das Bewusstsein für den Wald und die vielfältigen Interessen, die mit ihm verbunden sind, geschärft. Tatsächlich müssen wir uns aber die Frage stellen, ob die heutigen Holzerntetechniken ausreichend gewappnet sind für die Verhältnisse wie wir sie im letzten Winter erlebt haben und wie wir sie durch den Klimawandel in Zukunft wohl häufiger haben werden. Wir brauchen da unbedingt noch weitere Innovationsschritte in der Holzerntetechnik. Gerade in einem für Natur und Mensch so sensiblen Gebiet wie dem Schönbuch sollte ruhig auch mal die teurere Technik, gewählt werden. Im Gegensatz zu den schweren Zangenschleppern kommen moderne Seilkräne zum Beispiel ohne jegliche Befahrung des Waldbodens aus.
Was wünschen Sie sich für das Waldgebiet des Jahres 2014?
Der Schönbuch ist zu fasst 100 Prozent in öffentlichem Besitz. Dem Land gehört dabei mit 60 Prozent der Löwenanteil. Mitten im Ballungsraum ist der Schönbuch wohl wie kaum ein anderes großes Waldgebiet im Land ein echter „Bürgerwald“. Es gilt jedoch, die vielfältigen Interessen und Schutzgüter dieses sensiblen Gebietes unter einen Hut zu bringen. Im Naturpark und bei der Forstverwaltung gibt es da meiner Ansicht nach schon viele gute Ansätze. Ich würde mir wünschen, dass dieses Ansätze und vor allem der Dialog mit der Bevölkerung intensiviert wird. Was den Naturschutz und die Forstwirtschaft im Schönbuch betrifft, ist er aufgrund seiner Naturausstattung und den vielen guten Ansätzen geradezu dafür prädestiniert, als Modellgebiet für vorbildliche Forstwirtschaft und Waldnaturschutz herzuhalten. Wir haben Zusagen seitens des Naturparks, dass hier einiges geschehen soll und man sich dafür mit den Bürgern und Verbänden an einen Tisch setzen möchte. Ich hoffe, dass damit den Impuls, der aus dem Jahr 2014 hervorgeht, verstetigt und gefestigt wird.