Über den Wandel der Kulturlandschaft
Prof. Peter Poschlod zur Rolle von Naturschutz und Landwirtschaft in Baden-Württemberg
Der Mensch hat durch sein Handeln in den vergangenen Jahrzehnten viele Tier- und Pflanzenarten auf eine rasante Abwärtsfahrt geschickt. Doch ein Streifzug durch „die Geschichte der Kulturlandschaft“ zeigt: Ohne den Menschen wäre die Vielfalt an artenreichen Gebieten erst gar nicht entstanden. Mit seiner Reise durch die Historie hat der Botanik-Professor Peter Poschlod auf der Landesvertreterversammlung 2017 des NABU Baden-Württemberg die rund 280 Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine spannende Expedition mitgenommen. Poschlod ist Inhaber des Lehrstuhls für Ökologie und Naturschutzbiologie der Universität Regensburg. Im Interview erklärt er, was sich im Umgang mit unseren Lebensräumen ändern muss und welche Rolle Landwirtschaft und Naturschutz spielen können und sollen.
Was müssen wir in Baden-Württemberg schützen?
In einer Kulturlandschaft wie in Baden-Württemberg müssen wir nicht nur Schutzgebiete bewahren, in denen einzelne Lebensräume geschützt sind. Langfristig brauchen wir auf breiter Fläche das Konzept der Biosphärengebiete, in denen eine nachhaltige Bewirtschaftung aller Lebensräume stattfindet, ohne den intensiven Einsatz von Dünger, Pestiziden und Ähnlichem. In Landschaften müssen wir außerdem wieder zeitliche und räumliche Nischen schaffen. Viele Flächen leiden zudem unter dem atmosphärischen Stickstoffeintrag. Wenn ich dann keine Nutzungsformen mehr praktiziere, mit denen ich Biomasse entferne und Nährstoffe austrage, geht die Artenvielfalt stetig zurück.
Haben Sie ein Beispiel, wo und wie das funktioniert?
Bei der Schafbeweidung wurden die Schafe früher tagsüber auf Magerrasen gehalten, ihren Kot ließen sie aber nachts auf den Feldern als Dünger liegen, wohin sie zum Ruhen getrieben wurden. So sind die Standorte über viele Jahre permanent ausgemagert. Dafür brauche ich Großschutzgebiete wie die Biosphärengebiete, wo bestimmte nachhaltige und produktive Landnutzungsformen möglich sind. Außerdem müssen wir zurückkommen zu geschlossenen Nährstoffkreisläufen.
Wie sieht so ein Kreislauf aus?
Im Moment importieren wir Dünger und Futtermittel, die gleichzeitig über die Gülle wieder zu Dünger werden, aus anderen Ländern und unterstützen das auch noch über Subventionen. Das ist eines der großen Probleme, das aber lösbar ist bei etwas geringerer Produktivität. Wir brauchen wieder Nährstoffkreisläufe innerhalb von Betrieben, wie es lange gängige Praxis war.
Ist biologische Landwirtschaft die Lösung?
Nicht zwangsläufig, wenn sie ebenso intensiv betrieben wird.
Brauche ich Pestizide überhaupt?
Für bestimmte Krankheiten schon, aber nicht in dem Maße, wie es praktiziert wird. Den Maiszünsler kann ich auch mechanisch bekämpfen, wenn ich die Maisstoppeln mulche und anschließend einen Grubber einsetze.
Wo liegen die Hauptprobleme?
Ein Hauptproblem ist die Ausräumung der Landschaft. Früher hat ein Landwirt immer noch begrenzte Lebensräume übrig gelassen, wie Ackerraine oder Hecken zum angrenzenden Feld. Mit der Flurbereinigung wurden diese Grenzlinienlebensräume mit ihren darin lebenden Spezialisten wie Feldhamster und Rebhuhn, Goldlaufkäfer und vielen „Saum“-Pflanzen beseitigt. Damit gingen die Lebensräume und auch die darin blühenden Pflanzen verloren. Darin sehe ich auch eine zentrale Ursache für das Insektensterben.
Die Intensivierung war ja aber politisch gewollt …
Wer sich Karten und Fotos im Wandel ansieht, kann den starken Veränderungen nachspüren. 1960 gab es teilweise immer noch vielfältige Landschaften, doch danach brachten die Römischen Verträge eine Modernisierung der Agrarstrukturen. Es wurden Maßnahmen gefördert, die die Produktivität steigerten. Dies führte zu einer Ausräumung und zunehmenden Belastung unserer Kulturlandschaft.
Welche Rolle sollte die Landwirtschaft spielen, als Teil der Lösung?
Im Allgäu und in Oberschwaben konnten sich Landwirte freiwillig dem PLENUM-Projekt anschließen und mussten dann auf einem Teil ihrer Flächen bestimmte naturschutzfachliche Kriterien erfüllen. Das wäre eine Möglichkeit. Wenn der politische Wille da ist, können auch wieder Grenzlinienlebensräume wie Ackerraine und Hecken neu entstehen. Sie dürfen nicht gedüngt und gespritzt werden, haben aufgrund der Verdriftung der Nährstoffe aus den angrenzenden bewirtschafteten Flächen aber nicht die gleiche Qualität wie früher. Dazu brauche ich einen großräumigeren Verzicht. Obwohl wenig Fläche für die Landwirtschaft durch die Ausweisung solcher Grenzlinienlebensräume verloren ginge, sind die wenigsten Landwirte bereit, diese Flächen zu erhalten.
Wo fehlen noch Übergänge?
Beispielsweise am Rande von Fließgewässern brauchen wir Schutzstreifen, damit nicht nur die Wasserqualität, sondern der Gewässerzustand als Ganzes intakt bleibt. Dürfen Landwirte bis an den Rand wirtschaften, steigt der Eintrag von Feinerdematerial. Die Gewässer verschlammen und der Lebensraum in Sand, Kies und Geröll geht verloren.
Doch die Landwirtschaftsbetriebe sind unter enormem wirtschaftlichem Druck …
Dafür muss man sich an einen Tisch setzen und nach Lösungen suchen. Dass jetzt in Baden-Württemberg zwei Ministerien, statt wie früher ein Ministerium, sich mit dem Naturschutz und der Landwirtschaft auseinandersetzen, macht die Sache nicht leichter, denn die Kommunikation ist nicht mehr so intensiv.
Was können wir aus der Geschichte der Kulturlandschaft für den heutigen Naturschutz lernen?
Zum ersten war es immer ein ständiges Kommen, heute werden aber bestimmte Neophyten abgelehnt. „Arten seid willkommen“, sage ich, wobei es natürlich Ausnahmen gibt. Damit meine ich Arten, die einheimische massiv verdrängen, wie beispielsweise asiatische Knöterich-Arten. Hinzu kommt: Lebensräume haben immer wieder gewechselt. Wer etwa einen Kalkmagerrasen wieder umpflügt, schafft damit einen neuen Lebensraum für Arten, die nährstoffarme Brachflächen lieben. Dass bestimmte Richtlinien den Status quo auf immer festschreiben, finde ich schwierig. Wenn möglich, den Wandel zulassen – allerdings gibt es von manchen Flächen nicht mehr genügend. Der Naturschutz war viele Jahre sehr puristisch angelegt – alles musste von selbst entstehen. Seitdem der Mensch sesshaft wurde, hat er seine Umwelt verändert, viele Lebensräume sind erst dadurch entstanden, etwa die heute sehr artenreichen Wacholderheiden. Durch Renaturierungsmaßnahmen können neue Lebensräume entstehen und Arten wieder angesiedelt werden – und das ist gut so.
Welche Bedeutung hat Wildnis für den Naturschutz?
Die Wildnis hat ihre Existenzberechtigung und eine hohe Bedeutung für bestimmte Waldarten bei uns. Wenn ich aber dafür artenreiche Lebensräume aufgebe, die der Mensch geschaffen hat, verliere ich wieder etwas. 7.500 Jahre Wirken in unserer Landschaft haben eine einzigartige Vielfalt geschaffen. Wenn wir mehr Wildnis wollen, sollten wir diese auf den intensiv bewirtschafteten Flächen schaffen – zumindest nicht auf den artenreichen Offenlandflächen, die für den Naturschutz wichtig sind. Das wäre eine Alternative.
Mehr informationen:
Der NABU fordert einen Wandel hin zu einer naturverträglichen Landwirtschaft, in der Kornblumen blühen können und auch Feldlerchen wieder eine Heimat finden. Hier sind EU und Landesregierung gefragt, Landwirtinnen und Landwirte ausreichend zu fördern. Mehr →
Ob unberührte Wälder, Seen und Moore oder bunte Streuobstwiesen, Heckenlandschaften und Wacholderheiden – die Kronjuwelen der biologischen Vielfalt zu sichern, ist die Aufgabe von Großschutzgebieten wie Nationalparken und Biosphärenreservaten. Mehr →