Jedes Jahr pflegt das Team des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen rund 1200 Vögel gesund – darunter auch besonders streng geschützte Arten. Helfen Sie uns dabei!
Wanderfalken - Fliegende Datensammler
Ein Gespräch mit Vogelexperte Dr. Daniel Schmidt-Rothmund
Wanderfalken sind fliegende Messstationen – unfreiwillig. Pestizide und Umweltschadstoffe reichern sich im Körper der Vögel an und gelangen in ihre Eier. Dort können sie nachgewiesen werden. Mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg untersucht die Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW) seit Jahrzehnten nicht geschlüpfte Eier. Seit 2004 beteiligt sich das NABU-Vogelschutzzentrum Mössingen an den Untersuchungen. Zentrumsleiter Dr. Daniel Schmidt-Rothmund erklärt, wie gefährlich Umweltschadstoffe für die bedrohten Vögel sind.
Herr Schmidt-Rothmund, nehmen wir an, irgendwo in Baden-Württemberg ist in diesen Wochen ein Wanderfalke geschlüpft. Welche Gefahren hat er bereits hinter sich?
Wenn er geschlüpft ist, hat er die Hälfte der Probleme überwunden. Denn immer wieder sind einzelne Eier nicht befruchtet oder sterben ab. Das kann natürliche Gründe haben: Es ist in der Natur einfach so, dass sich nicht alle Eier eines Geleges entwickeln. Aber es gibt auch unnatürliche Gründe, etwa die hohe Pestizidbelastung bis vor etwa 40 Jahren. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar.
Wie wirken die Pestizide im Körper der Tiere?
Sie reichern sich im Fettgewebe an. Wenn Eier im Körper der weiblichen Vögel heranreifen, werden die Ablagerungen mobilisiert und stören die Eischalenbildung. Das heißt, die Eier sind dünnschalig, brechen leichter. Dadurch gab es besonders in den 1970er Jahren eine erhöhte Embryonalsterblichkeit, eine geringere Schlupfrate und damit eine dramatische Abnahme der Population. Ein Aussterben der Wanderfalken war zu befürchten.
Glücklicherweise kam es nicht dazu: Nach einem deutlichen Knick in der Populationsentwicklung haben sich die Bestände in den vergangenen Jahren erholt.
Ja, weil man das Insektizid DDT Anfang der 1970er Jahre in den USA, Kanada und Europa verboten hat. In Bezug auf die Pestizide hat unser frischgeschlüpfter Wanderfalke damit eine deutlich bessere Überlebenschance. Doch die Gefahr ist nicht gebannt: DDT oder auch Quecksilber sind sehr langlebige Schadstoffe.
Der langsame Abbau der Substanzen lässt sich an den Ergebnissen des Umweltschadstoffmonitorings ablesen. Seit 1971 werden nicht geschlüpfte Wanderfalkeneier untersucht. DDT ist in den Eiern auch heute, mehr als 40 Jahre nach dem Verbot nachweisbar. Wie kann das sein?
Das Insektizid wird in Afrika immer noch in großen Mengen ausgebracht. Über globale Luftströmungen gelangt es zu uns. Solch langlebige Pestizide sammeln sich von den Pflanzen über die Insekten, bis zu den insektenfressenden Vogelarten an. Diese werden wiederum vom Wanderfalken gefressen. Ein Wanderfalkenweibchen, das jeden Tag einen Vogel schlägt und zehn Jahre alt wird, frisst in seinem Leben rund 3.650 Vögel. Und theoretisch hat jeder dieser Vögel einige tausend Insekten gefressen. Diese vielen tausend Insekten haben eben eine ordentliche Fracht von Pestiziden abbekommen, weil sie belastete Pflanzen gefressen haben.
Kann man den Wanderfalken also eine „fliegende Messstation“ nennen?
Ja, das kann man tatsächlich. Es ist aber nicht so, dass er als Bioindikator für alle möglichen Schadstoffe taugt, sondern für einen Ausschnitt. Neben den Pestiziden gehören dazu auch Weichmacher, sogenannte PCBs.
Untersuchungen von Wanderfalkeneiern begannen bereits in den 1960er Jahren. Wie sahen die Anfänge aus?
Wanderfalkenschützer sind damals zu den Nestern geklettert. Sie haben sich gewundert: Warum gibt es immer weniger erfolgreich brütende Paare? Einer der Pioniere des Wanderfalkenschutzes in Baden-Württemberg, Friedrich Schilling, und seine Mitstreiter haben erkannt, dass viele Eier zerbrachen. Man hat die Schalendicke gemessen und festgestellt: Um Gottes Willen, die haben unheimlich dünne Schalen! Und dann hat man angefangen, weiter zu forschen. Mit den Jahren hat Friedrich Schilling das Projekt an eine landesweite Einrichtung, die LUBW, übergeben. Und ich habe angeboten, dass das Vogelschutzzentrum die koordinativen Aufgaben von ihm erbt.
Wie laufen die Untersuchungen heute ab?
Wenn die jungen Wanderfalken etwa drei Wochen alt sind, steigen die Ehrenamtlichen der AGW in die Nester ein, um die Jungen zu beringen. Dabei halten sie nach nicht geschlüpften Eiern Ausschau. Wir im NABU-Vogelschutzzentrum sammeln diese Eier landesweit ein. Wir erheben ihre Daten, bohren sie an und füllen die Inhalte in Probengefäße. Dann werden die Proben an die Labors verschickt.
Können sich NABU-Mitglieder für das Projekt engagieren?
Ja. Zum einen kann man sich dem örtlichen Team der AGW anschließen. Ob man nun zu den Brutplätzen klettert oder Daten sammelt: Jede Unterstützung ist wichtig. Wenn nur ein Beringer ausfällt, merken wir ganz schnell, dass wir weniger Eier bekommen. Außerdem können NABU-Aktive versuchen, auf die Politiker einzuwirken, damit die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) weiterhin in der Lage ist, die Schadstoffanalysen zu bezahlen. Die Untersuchung von einem Ei kostet Hunderte von Euro, etwa 30-40 Eiern können wir pro Brutsaison auswerten lassen.
Wie wichtig ist öffentlicher Druck auf die Produzenten und Nutzer der Schadstoffe?
Sehr wichtig! Darum freuen wir uns, dass ein Pestizidreduktionsprogramm in Baden-Württemberg umgesetzt wird. Es spielt sicherlich eine Rolle, Landwirtinnen und Landwirte für die Auswirkungen von Pestiziden zu sensibilisieren, aber man muss auch den weltweit agierenden Konzernen, auf die Finger gucken. Die Industrie schläft nicht, sie wird neue Stoffe entwickeln und eventuell werden sich darunter Schadstoffe befinden, die wir heute noch gar nicht kennen. Das ist die Lehre aus der jahrzehntelangen Pestizidforschung.
Unsere Wanderfalkenwebcam:
Von Anfang März bis Ende Mai kann man die Wanderfalken in Heidelberg live über drei Webcams beim Brüten und Aufziehen des Nachwuchses beobachten, ohne sie zu stören.
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