Jedes Jahr pflegt das Team des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen rund 1200 Vögel gesund – darunter auch besonders streng geschützte Arten. Helfen Sie uns dabei!
Die Nilgans
Neubürger oder Bestandteil unserer Vogelwelt?
Die Nilgans hat sich in Mitteleuropa rasch ausgebreitet und gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen. Es steht die Frage im Raum, ob sie als Bestandteil unserer heimischen Vogelwelt gelten kann oder nicht. Die Nilgans ist ein Brutvogel in Afrika, ihre Hauptverbreitungsgebiet liegt südlich der Sahara und im Niltal. Der afrikanische Bestand wird auf 200.000 bis 500.000 Vögel geschätzt. Es gibt allerdings bereits aus dem 17. Jahrhundert Brutnachweise in Südeuropa. Nilgänse wurden ab dem 17. Jahrhundert vor allem in Großbritannien gerne auch in Parks und Zoos gehalten. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts gab es dort freifliegende Nilgänse, in den Niederlanden seit 1967.
Seit den 1980er Jahren ist ein Bestandszuwachs, seit den 1990er Jahren eine Arealausweitung festzustellen. Von den Niederlanden aus erfolgte die Besiedlung entlang des Rheins südwärts. Erste Bruten fanden in Belgien ab 1982, in Nordrhein-Westfalen ab 1986 und in der Schweiz ab 2003 statt. Meistens kam es nach ersten Brutversuchen zu raschen Bestandszunahmen. Der europäische Bestand wird auf über 26.000 Brutpaare, vor allem in Großbritannien und den Niederlanden, der deutsche Bestand auf 1500 Brutpaare geschätzt.
Sind Nilgänse besonders aggressiv?
Nilgänse gelten als besonders aggressiv. Erklärt wird dieses Verhalten mit ihrer Herkunft: In Afrika müssen sich Nilgänse gegen verschiedene Beutegreifer verteidigen. Studien an hessischen Nilgänsen relativieren das Bild von der aggressiven Gans: Nur in bestimmten Situationen und räumlich wie zeitlich begrenzt zeigen sie aggressives Verhalten – und das ist für Gänsearten völlig normal und typisch. Gänseverhalten unterscheidet sich deutlich von dem uns vertrauteren „braven“ Verhalten der Enten. Möglicherweise fallen uns Nilgänse auch mehr auf, da sie größer und ruffreudiger sind.
Aggressionen zeigen Nilgänse nur in ganz bestimmten Situationen:
- bei Nahrungskonkurrenz, vor allem an Fütterungen
- zum Schutz von Nest oder Jungvögeln sowie
- bei Unterschreiten eines Individualabstandes von 30 bis 50 Zentimetern zu anderen Tieren.
Nilgänse sind nicht grundsätzlich auf Krawall gebürstet, denn Aggression birgt ja auch die Risiken einer Eskalation oder Verletzung und kostet Energie. Aggressives Verhalten verläuft in zwei Stufen: erst drohen, dann kämpfen. Zum Drohverhalten gehören Kopf recken, Gefieder plustern, Schnabel öffnen, lautes Rufen, geöffnete Flügel und kurze Verfolgungen. Fruchten die Drohgebärden nicht, geht die Nilgans in den Kampf über, zu dem Beißen, Behacken und Untertauchen zählen.
Gegenüber den meisten anderen Vogelarten verhalten sich Nilgänse neutral, gleichgültig und desinteressiert. Ausnahmen sind die bereits genannte Nahrungskonkurrenz, geringer Abstand oder Verteidigung des Nachwuchses. Damit unterscheiden sich Nilgänse kaum von anderen Wasservogelarten wie Höckerschwan, Blesshuhn oder Haubentaucher, die ähnliche Verhaltensmuster zeigen. Auf Gewässern gibt es offenbar eine „Hackordnung“, die von der Körpergröße bestimmt wird. Hier reiht sich die Nilgans bei den größeren Arten ein. Gegenüber kleineren Arten werden vor allem Attacken gegenüber Stockenten beobachtet. Blesshühner werden nicht attackiert. In Einzelfällen kann es zur Tötung anderer, meistens kleinerer Wasservögel kommen. Umgekehrt müssen Nilgänse von der größeren Graugans Angriffe einstecken.
Paare mit Jungvögeln sind zwar aufmerksamer, aber deutlich seltener aggressiv und wenn nur zur Verteidigung des Nachwuchses. Dann fällt die Aggression jedoch intensiver aus, insbesondere durch die Männchen. Die kritischste Phase ist, wenn Dunenjunge geführt werden. Unter den Nilgänsen selbst kommt es häufiger und intensiver zu Aggressionen, wenn junge und unverpaarte Nilgänse randalieren. Sie sind häufiger gegen ihre Artgenossen aggressiv, allerdings mit geringer Intensität und meistens dann, wenn der Individualabstand unterschritten wird oder es um Nahrung geht. Am Nest werden andere Nilgänse vertrieben. Die Scharmützel unter Nilgänsen scheint andere Vogelarten weder zu irritieren noch zu stören.
Kleines Gewässer und viele Wasservögel
Zudem ist die Aggressivität abhängig von der Größe und Lage des Gewässers, der aktuellen Wasservogeldichte, der Jahreszeit und dem Brutstatus. Städtische Teiche in Parks oder Zoos haben meist eine kleine Fläche, beherbergen aber eine große Zahl an Wasservögeln. Wenn Ruheplätze, Brutplätze und Nahrung knapp sind, sind Konflikte vorprogrammiert. Einzelvögel können sich schnell zu nahe kommen und aggressiv reagieren. Nilgänse sind auf Stadtgewässern eindeutig aggressiver, meistens gegenüber Artgenossen. An natürlichen Flüssen, Seen, Kiesgrubengewässern etc. sind Nilgänse eher defensiv und weichen anderen Vogelarten aus. Mit flüggen Jungen suchen sie abseits gelegene Gewässerabschnitte mit weniger Konfliktpotential auf. Und übrigens: Von der aggressiven Nilgans profitieren manchmal andere Vogelarten, indem sie zum Beispiel benachbarte Kiebitze und Enten vor Beutegreifern schützen.
Genetische Herkunft
Genetische Untersuchungen zeigen, dass die Nilgans zu den so genannten Halbgänsen zählt, einer Vogelgruppe, die als Vorfahren zu den Entenartigen gerechnet werden. Damit sind Nilgänse näher mit den Enten und Sägern als mit Gänsen verwandt.
Problematische Verhaltensweisen
Nilgänse können problematische Verhaltensweisen zeigen, die möglicherweise Einfluss auf andere Vogelarten nehmen. So sind „feindliche Übernahmen“ von Neststandorten sowie Zwangsadoptionen von Gösseln anderer Gänsearten bekannt. Ob dies die Bestände seltener Arten bedroht, muss weiter beobachtet werden. Vogelkundler gehen dennoch davon aus, dass aggressives Nilgans-Verhalten keine langfristigen Auswirkungen auf die Bestände anderer Vogelarten hat. Eingriffe gegen Nilgänse erscheinen allenfalls gerechtfertigt, wenn bedrohte, seltene Arten betroffen sind. Verdrängungen anderer Arten durch Nilgänse sind nur in wenigen Fällen bekannt. In Baden-Württemberg deutet sich an, dass sich größere Mengen Nilgänse zum Mausern in bestimmten Gebiete vergesellschaften (wie das auch andere Wasservogelarten tun), zum Beispiel im Rhein-Neckar-Raum und am Oberrhein.
Nilgans und Landwirtschaft
Nilgänse ernähren sich überwiegend vegetarisch von Gräsern, Samen, Blättern, Gemüse, Getreidekörnern, Sprossen und Kartoffeln, teilweise auch von Würmern und Heuschrecken. Treten Gänse in größeren Trupps auf, können sie Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen anrichten. Von Nilgänsen sind bislang kaum gravierende Schäden bekannt geworden.
Nilgänse als Besucher von Gärten, Freibädern und Golfplätzen
In Städten treten Nilgänse immer wieder als ungebetene Gäste in Gärten, Freibädern oder auf Golfplätzen auf. Grund dafür sind die kurz geschorenen Rasenflächen: Sie stellen ein höchst attraktives Angebot als Äsungsfläche dar, auf dem die Gänse Pflanzen abweiden können. Höher gewachsene, langhalmige Wiesen werden gemieden. Besonders das Füttern der Vögel in Freibädern erhöht die Attraktivität dieser Flächen zusätzlich und sollte grundsätzlich unterbleiben. Und wer viel Grünes futtert, hinterlässt viele grüne Haufen, die vor allem ein ästhetisches und Mengen-Problem sein können, je nachdem wie viele Vögel anwesend sind.
Wirklich wirksame Mittel zur nachhaltigen Vergrämung der Vögel gibt es (außer hochgewachsener Vegetation) kaum. Mancherorts wurden Hunde, Drohnen oder das Jagdgewehr eingesetzt – meistens mit nur kurzfristigem Erfolg. Die immer wieder geforderten Abschüsse bieten keinen dauerhaften Schutz vor Nilgansbesuchen und sind in Siedlungen nicht ungefährlich. Nach einer Studie gibt es Anhaltspunkte, dass Bejagung einen gewissen Effekt haben kann, jedoch keinen Einfluss auf den Gesamtbestand nimmt. Die derzeit gewährte, begrenzte Schonzeit vom 15. Januar bis 31. August erscheint bei einer hierzulande ganzjährig brütenden Art allerdings wenig sinnvoll. Die in anderen Ländern praktizierte Massen-Vergasung der Vögel ist auch aus Tierschutzgründen inakzeptabel.
Nilgänse wurden durch uns Menschen in Mitteleuropa eingebürgert und wir offerieren ihnen vielerorts Lebensbedingungen, die ihren Ansprüchen sehr entgegenkommen. In unserer Umwelt sind sie mittlerweile etabliert. Wir werden uns mit dieser zunehmend häufigeren Vogelart arrangieren und weitere Erkenntnisse über sie gewinnen müssen. Vorurteile helfen uns dabei nur wenig weiter. Allerdings sind weitere Beobachtungen, Studien und Erfahrungen im Umgang mit dieser Vogelart notwendig.
In Kürze:
- Nilgänse sind nicht aggressiver als andere Wasservogelarten auch.
- Schnabelbisse sind selten und treten nur am Brutplatz oder während der Jungenaufzucht auf.
- Nilgänse werden derzeit nicht als schädlich für andere Arten eingeschätzt.
Für alle Wasservögel gilt grundsätzlich:
- Respektieren Sie Wasservögel! Halten Sie zu Wasservögeln und zu Nilgänsen im Besonderen stets einen Abstand von mindestens zwei Metern ein.“
- Provozieren Sie Wasservögel nicht mit Handbewegungen, Stöcken, Einkaufstaschen etc. – das stört und beunruhigt sie und löst zwangsläufig aggressive Reaktionen aus.
- Nähern Sie sich nicht Nestern, brütenden Altvögeln oder flüggen Jungvögeln, die von Altvögeln begleitet werden.
- Auch wenn es Spaß macht: Füttern Sie bitte konsequent keine Wasservögel an Seen, Flüssen, Parkteichen oder im Freibad!
Mehr zur Nilgans
Nur wenige Vogelarten erhalten derzeit so viel mediale Aufmerksamkeit wie die nicht-heimische Nilgans, die sich bei uns ausbreitet. Dass die Vogelart ökologische Schäden verursacht, ist nicht erwiesen. Daher ist es aus NABU-Sicht nicht gerechtfertigt, den Bestand zu reduzieren. Mehr →
Weitere Arten
Spatz, Kohlmeise, Blaumeise, Amsel und Star – das sind die Arten, die in Baden-Württemberg im Langzeitvergleich am häufigsten gesichtet werden. Der NABU verrät Wissenswertes über diese Top fünf. Mehr →