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NABU: Mythen und Fakten zum Kormoran
Über die Ursachen des Fischsterbens im Südwesten
Vielmehr lösen die durch den Klimawandel steigenden Wassertemperaturen eine Kettenreaktion aus, die das Felchen verdrängt. Dass manche immer wieder reflexhaft auf den Kormoran als Übeltäter zeigen, hängt mit dem Vogel selbst, der politisch angespannten Stimmung und mangelhaften Einsatz zusammen, um die wirklichen Ursachen zu lösen. Der NABU geht den Mythen rund um den NABU-Jahresvorgel 2010 auf den Grund und widerlegt häufige Vorurteile rund um den gefiederten Fischjäger.
Was macht den Kormoran zur Zielscheibe?
Der Kormoran hat ein Imageproblem. Er ist ein eleganter Flieger und auffallender Jäger. Damit er bis zu neun Meter tief und bis zu einer Minute lang tauchen und Fische verfolgen kann, fettet er sein Gefieder nicht ein. Nach der Jagd sitzt der fast schwarze Vogel in typischer Haltung auf einem erhöhten Punkt, mit zum Trocknen geöffneten Flügeln. Das macht ihn zum Blickpunkt – und Hassobjekt für viele Fischer, wenn er zuvor in „ihren“ Gewässern gejagt hat. Als Koloniebrüter kommt er in Gruppen vor und erregt dadurch mehr Aufmerksamkeit. Das macht ihn zusätzlich zur Zielscheibe für Kritiker. Auch die Lautäußerungen am Brutplatz – ein schnarrend-krächzendes Chro-Chro – sind für viele Menschen wenig attraktiv und werden oft als unangenehm empfunden.
Fressen Kormorane besonders viele Fische oder viele Felchen?
Kormorane fangen bevorzugt mittelgroße Fische, die sie ohne großen Aufwand fangen können – sie sind Nahrungsopportunisten. Darum stehen vor allem häufige und wirtschaftlich unbedeutende „Weißfische“ wie Rotaugen, Brachsen und andere Kleinfische auf ihrem Speiseplan, die in nährstoffreichen Gewässern in großen Mengen vorkommen. „Edelfische“ wie Felchen oder Äschen machen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge nur geringe Anteile ihrer Nahrung aus. Wildvögel sind eher schlechte Futterverwerter, deshalb überrascht es nicht, dass der mit 80 bis 100 Zentimetern recht große Kormoran bis
zu 500 Gramm Fische am Tag verspeist. Damit ist er nicht besonders verfressen, er jagt nur so viel, wie er zum Überleben braucht.
Warum verschwinden die Felchen aus dem Bodensee?
Weil die Zahl der gefischten Felchen innerhalb der letzten zehn Jahre um 94 Prozent eingebrochen ist, dürfen seit Januar 2024 im Bodensee-Obersee keine Fische mehr gefangen werden. Eine Studie der Fischereiforschungsstelle in Langenargen und der Universität Konstanz zeigt: Die zunehmende Erwärmung des Sees infolge des Klimawandels ist der größte Feind der Fischerei am Bodensee. Im wärmeren Wasser steigt die Sterblichkeit der Blaufelchenlarven. Weil sie früher schlüpfen, fehlt es an Futterorganismen. Auch vor dem Schlupf sind die Larven mehr gefährdet, durch Mikroorganismen und weil sie ihr Nahrungsdepot im warmen Wasser schneller aufbrauchen. In der Folge gibt es weniger Fischnachwuchs. Das tiefe Wasser im Bodensee hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 0,9 Grad auf 5,4 Grad erwärmt – ein Höchstwert, der erst 2040 erwartet worden war.
Hinzu kommen gebietsfremde Fisch- und Muschelarten, menschengemachte Veränderungen der Stoffeinträge und eine Verarmung der Gewässerstrukturen. Eingeschleppte Arten wie die Quaggamuschel reduzieren das Nahrungsangebot für Fische im See. Stichlinge haben sich stark vermehrt – sie fressen das Plankton, von dem auch die Felchen leben, sowie Eier und Larven der Felchen. Fehlender Sauerstoff in Gewässern lässt auch die Population der Äschen schrumpfen, die oberflächennah laichen. Wichtig ist daher ein nachhaltiges Fischmanagement. Der Kormoran als Fischjäger ist nur ein Faktor unter vielen.
Wie geht es den Fischen in anderen Gewässern
Die Vielfalt der Fischbestände ist nicht nur am Bodensee, sondern auch in Flüssen und Bächen im ganzen Südwesten bedroht. Zum Teil wurde in den Oberläufen der Gewässer in Forellenregionen ein massiver Rückgang der Kleinstlebewesen festgestellt, von denen sich Fische ernähren. Insektizide, wie etwa die im Rapsanbau eingesetzten Pyrethroide, vergiften Wasserlebewesen und können aufgrund fehlender Gewässerränder, Strukturen und durch Starkregen eingeschwemmt werden. In vielen größeren Flüssen, wie Neckar und Rhein mit ihren Zuflüssen, leben von einst etwa 30 Fischarten nur noch rund sieben. Viele Flüsse wurden begradigt und ihrer natürlichen Strukturen beraubt. Dabei brauchen Fische etwa das Schilf als Kinderstube für den Nachwuchs. In ausgeräumten Gewässern hat es der Kormoran leicht, Fische zu erbeuten, weil diese kaum Schutz finden. Viele Flüsse sind durch Wehre zerstückelt, wodurch sie für Fische und andere Arten schlecht oder gar nicht zu durchwandern sind. Bei Starkregen werden Fische aus ihrem Lebensraum gespült und können teils nicht zurückkehren.
Revitalisierte Fluss- und Seeufer wirken sich positiv auf die Fischbestände aus und helfen darin lebenden Tieren, sich vor Fressfeinden und bei Hochwasser zu schützen. Die Pflicht von Land und Kommunen zur Revitalisierung leitet sich aus der Wasserrahmenrichtlinie ab.
Sind die Bestände des Kormorans unnatürlich hoch?
Ganz im Gegenteil: In Deutschland ist der Kormoran seit dem 16. Jahrhundert zuhause. Da der geschickte Fischjäger vom Menschen als Nahrungskonkurrent gnadenlos verfolgt wurde, war er noch vor 40 Jahren in ganz Europa vom Aussterben bedroht. Seitdem die Art unter gesetzlichem Schutz steht, haben sich die Bestände in den letzten 30 Jahren erholt. Auch die Nährstoffanreicherung in Gewässern, das Verbot von PCB und DDT sowie milder werdende Winter helfen dem Kormoran. In Süddeutschland begünstigten künstlich angelegte Gewässer die Ansiedlung. Heute brüten wieder etwa 22.000 bis 26.000 Brutpaare in Deutschland. Auch am Bodensee nisten wieder Kormorane. Der Bestand reguliert sich durch das Futterangebot. Der Kormoran brütet auf ufernahen, hohen Bäumen. Ornithologinnen und Ornithologen gehen davon aus, dass er alle geeigneten Lebensräume wiederbesiedelt hat und die Bestände nicht weiter steigen, sondern nur schwanken, weil viele internationale Wintergäste darunter sind.
Sollten Kormorane geschossen werden, um die Bestände zu reduzieren?
Kormorane brüten am Bodensee fast ausschließlich innerhalb wertvoller und sensibler Schutzgebiete. Daher besteht bei jeglichen Maßnahmen innerhalb dieser Gebiete eine erhebliche Gefahr, dass andere schutzbedürftige Arten ebenso massiv geschädigt werden. Eingriffe in die Kormoranbestände durch Vergrämung oder Abschüsse sind daher rechtlich nur zulässig, wenn diese die Fischbestände nachweislich und relevant verbessern und zugleich andere Arten nicht erheblich beeinträchtigen. Von „Regulierungsversuchen“ bei anderen Vogelarten weiß man, dass Abschüsse lediglich geringe, vorübergehende Bestandsreduktionen erzielen und die Probleme in die Fläche verlagern, anstatt sie zu lösen. Insbesondere beim Kormoran als sehr wanderfähiger Tierart ist davon auszugehen, dass in attraktiven Lebensräumen wie dem Bodensee menschengemachte Verluste durch Populationsverschiebungen ausgeglichen werden.