Jedes Jahr pflegt das Team des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen rund 1200 Vögel gesund – darunter auch besonders streng geschützte Arten. Helfen Sie uns dabei!
Vogel des Jahres 2023: Das Braunkehlchen
Größte Population in Baden-Württemberg lebt am Federsee
Das Braunkehlchen wurde zum Vogel des Jahres 2023 gekürt. Was ist es für ein Vogel?
Das Braunkehlchen ist ein kleiner Singvogel, der in naturnahen Wiesenlandschaften zuhause ist. Es lebt von Insekten und anderen Kleintieren und brütet am Boden. Die Braunkehlchen kommen Mitte/Ende April zu uns, um zu brüten, und verlassen Europa wieder im August/September. Die Überwinterungsgebiete liegen in den Savannen Afrikas südlich der Sahara.
Warum wird das Braunkehlchen in der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ (Kategorie 1) eingestuft?
Noch vor 60 Jahren war das Braunkelchen in Baden-Württemberg in allen großen Wiesenlandschaften weit verbreitet. Heute kommt es nur noch an sieben isolierten Stellen vor. Sein Brutbestand ging von geschätzten 5.000 Brutpaaren um 1950 auf nur noch rund 210 Paare 2020 zurück. Ohne schnelle Schutzmaßnahmen droht es bei uns auszusterben.
Am Federsee brütet die größte Braunkehlchenpopulation in Baden-Württemberg. Warum fühlt sich das Braunkehlchen am Federsee wohl?
Im Federseemoor findet das Braunkehlchen noch weite, naturnahe Wiesen mit einem hohen Anteil an Brachflächen. Die Wiesen werden erst im Spätsommer gemäht, wenn das Brutgeschäft der Wiesenvögel abgeschlossen ist und die Jungen ausgeflogen sind. Die Brachflächen werden im Rahmen der Landschaftspflege in einem speziellen Rhythmus gepflegt, um sie in einem guten Zustand zu erhalten.
Welche Bedingungen benötigt das Braunkehlchen zum Überleben?
Das Braunkehlchen braucht weite, offene, nur extensiv genutzte Wiesenlandschaften. Die Wiesen dürfen nur wenig Dünger erhalten und dürfen zum Schutz der Bruten erst spät im Jahr gemäht werden. Ganz wichtig ist ein ausreichend hoher Anteil an Brachflächen. Hier legt es seine Nester an und nutzt hohe, vorjährige Stängel als Ansitzwarten für seine Jagdflüge.
2020 wurde am Federsee eine Population von 115 Brutpaaren gezählt. Hat auch die Population am Federsee abgenommen?
In den 1970er Jahren brüteten am Federsee rund 70 Braunkehlchenpaare. Über eine systematische Pflege der Feuchtwiesen, die Renaturierung großer ehemals intensiv bewirtschafteter Flächen und die Entwicklung von Brachflächen gelang es, den Bestand auf 215 Paare in Jahr 2012 zu steigern. Ab da gingen die Bestände trotz Fortführung der Schutzmaßnahmen wieder zurück. Die Gründe hierfür sind bisher noch nicht klar.
Was macht das Braunkehlchen so besonders? Warum ist das Braunkehlchen so wichtig für das Ökosystem?
Das Braunkehlchen ist eine Leitart für den Lebensraum „extensive Wiesenlandschaft“. Wo sich das Braunkehlchen wohlfühlt, geht es auch vielen weiteren, auf diesen Biotop spezialisierten Arten gut. Viele Pflanzen, Schmetterlinge, andere Insekten und Kleintiere der extensiv genutzten Wiesen sind heute selten geworden und profitieren von den Schutzmaßnahmen für das Braunkehlchen.
Was kann jeder Einzelne dafür tun, dem Braunkehlchen zu helfen?
Ursache für das Verschwinden des Braunkehlchens ist die zu intensive landwirtschaftliche Nutzung seiner Lebensräume. Insofern kann der Einzelne direkt nichts tun, um ihm zu helfen. Hier ist eine geänderte Landwirtschaftspolitik notwendig. Wir alle sollten von der Politik fordern, die vielen Gelder, die in Europa für die Förderung der Landwirtschaft ausgegeben werden, künftig auch so einzusetzen, dass ausreichend große Rückzugsräume für die gefährdeten Arten der Wiesen wieder neu geschaffen werden.
Kann man das Braunkehlchen am Federsee beobachten?
Am Federsee hat man zwischen Mai und Juli ausgezeichnete Möglichkeiten, das Braunkehlchen und viele andere Wiesen-Arten zu sehen. Am einfachsten geht das vom Federseesteg aus. Aber auch im Naturschutzgebiet Südliches Federseeried hat man gute Beobachtungsbedingungen. Nähere Informationen erhält man beim NABU-Naturschutzzentrum Federsee.
2015 hat sich das 1. Europäische Braunkehlchen Symposium getroffen. In einer Resolution forderten die Teilnehmenden ein schnelles und koordiniertes Handeln, um wirksame Maßnahmen zur Förderung des Braunkehlchens in Europa großflächig und effektiv umzusetzen. Was hat sich seither getan?
Da und dort sind durch konsequente gute Hilfsmaßnahmen Erfolge erzielt worden. Es wird aber auch von weiteren Bestandsrückgängen und dem Verlust lokaler Populationen berichtet. Wir müssen noch deutlich mehr tun. Wichtig ist die Erkenntnis, dass die noch vorhandenen, isolierten Braunkehlchen-Populationen auf Dauer nur überlebensfähig sein werden, wenn es gelingt, die Bestände wieder zu vergrößern und die Vorkommen wieder auszudehnen und miteinander zu vernetzen. Wo das Braunkehlchen einmal verschwunden ist, ist es fast unmöglich, es wieder anzusiedeln.
Was gibt es noch Wichtiges zum Braunkehlchen am Federsee sagen?
Das Braunkehlchen ist ein Charaktervogel für das Federseeried. Es hat am Federsee sein größtes Vorkommen in Baden-Württemberg. Entsprechend bedeutend ist die Population für die landesweite Erhaltung dieses Wiesenvogels.
Wir danken für dieses Gespräch.